Das Leben ist langsam

15.30 Uhr. Wo bleibt meine Liebste? Eigentlich wollte sie schon hier sein – von der Arbeit. Ich wische meinem 15 Monate alten Sohn zum fünften Mal an diesem Tag den Hintern ab. Gleich muss ich ihn in den Kinderladen mitschleppen, um Simone (4) abzuholen. Eine Drangsal, lästig.

Seit August ist das Leben sehr langsam. Nicht langweilig, langsam. Es passt so viel in den Tag hinein. Erst halb elf? Aufgestanden, ein Kind angezogen, noch ein Kind angezogen, Brötchen, Flasche, Schuhe gesucht, zum Kinderladen gegangen, Zeitung gelesen, Spülmaschine eingeräumt, auf dem Balkon gestanden. Meist gehe ich einmal um den Block: Bioladen, Supermarkt, Kinderladen, immer links herum, bis ich wieder vor meiner Tür stehe. Reproduktion ist erholsam, Produktion stressig.

Irgendwann war ich fällig. Leichtfertig hatte ich es versprochen: „Beim ersten Kind du, beim zweiten ich.“ Doch kaum war Simone geboren, setzte eine Art berufsmäßige Torschlusspanik ein. Ich handelte meinen Erziehungsurlaub auf sechs Monate herunter, schließlich wurden neun daraus. Aber meine Argumente, mich grundsätzlich zu weigern, waren schlecht.

Um mir eine Rechtfertigung für den unprofessionellen Müßiggang zu verschaffen, lud ich mir eine kleine Nebenbeschäftigung auf. Die Arbeit an einem Buch – nachts und während des Mittagsschlafs. Wollte der Kleine nicht einschlafen oder wachte zu früh auf, wurde ich halb wahnsinnig. Dabei ist Bela so süß. Jetzt kann er schon selbst die Möhrchen löffeln. Das hat ihm der Papa beigebracht!

Aber im Mai geht die Arbeit wieder los. Dann ist der Tag im Nu um. Ein halbes Jahr mehr Pause wäre schön. Aber der Ruhm ruft – Artikel, die die Welt aus den Angeln heben. Reproduktion ist nur schön, wenn die Verbindung zur Produktion nicht reißt. Denn Letztere bringt die Anerkennung, Erstere kaum.

Zum Schluss ein Rat: Macht Erziehungsurlaub im Sommer, da kann man auf dem Spielplatz in der Sonne sitzen. HANNES KOCH,
WIRTSCHAFTSREDAKTEUR