Freie Wissenschaft

Polizeiskandal war gar keiner, findet Doktorand heraus. Doktorvater lehrt an Polizeiakademie  ■ Von Peter Ahrens

Wilhelm Ruckriegel ist der Hamburger Polizei „seit über 30 Jahren in freundschaftlichem Kontakt“ verbunden. Der Mann hat als Unternehmensberater gearbeitet, heute versteht er sich als Berater der Polizei. Und da der Polizeiskandal von 1994 für ihn nur ein „angeblicher Polizeiskandal“ war, hat er seinen Bekannten, den Müns-teraner Soziologieprofessor Sven Papcke angesprochen, ob man das Thema „nicht mal wissenschaftlich aufarbeiten“ könne. Man kann, wenn nur ein Wille da ist.

Und ein Wille ist da: Papcke lehrt nebenbei an der Polizeiführungsakademie. Also sucht und findet der Professor einen schreibwilligen Doktoranden. Herauskommen wird eine Dissertation, in der der Autor Marko Heyse nach Aktenstudium Erstaunliches herausfindet: Der Polizeiskandal war nur ein angeblicher Polizeiskandal.

Ruckriegel weiß: Auch bei der Polizei gibt es „Fehlverhalten wie in jeder menschlichen Gruppierung“, man könne bei 10.000 Mitarbeitern eben „keine 10.000 Engel erwarten“. Der ganze Skandal ist für ihn nur „ein schwer erklärbares Phänomen“, ein Phänomen, das Unheil in der Stadt anrichtete: „Heute wird ein Polizist, der jemanden festgenommen hat, erst gefragt, ob er ihn auch sanft und freundlich angefasst hat und erst dann, warum er ihn denn verhaftet hat.“

Seit eineinhalb Jahren schwitzt Heyse über der Doktorarbeit, fertig ist sie noch nicht, vielleicht Ende des Jahres, aber der Presse werden die Thesen im Hotel Atlantic schon mal vorgestellt, „das ist nicht unüblich“, so Papcke, „mit wissenschaftlichen Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen“. Mit dem Innere-Sicherheits-Wahlkampf hat das alles nichts zu tun, „das ist höchstens Beiwerk im Vorwahlkampf“.

Die Thesen seines Zöglings werden „sine ira et studio völlig wertungsfrei präsentiert“, findet Papcke. Die Thesen: Es gab kein konkretes polizeiliches Fehlverhalten. SPD-Innensenator Werner Hackmann trat zu theatralisch und zu früh zurück. Die Politik hat den Polizeiskandal instrumentalisiert. Es gab zwar die politische Vorgabe an die Polizei am Hauptbahnhof, „die sich gegen die Drogenszene ein massives Vorgehen wünschte“, aber Vorgänge wie die Polizeiprügel gegen den Journalisten Oliver Ness seien nur „Einzelfälle“ gewesen. Heyse folgert: Hackmann hätte nicht zurücktreten müssen, „schließlich waren alle Vorwürfe gegen die Polizei – zum Beispiel, dass Amnesty International von Folter auf einzelnen Wachen sprach – seit langem bekannt.“ Ja, wenn die bekannt waren – dann ist es ja nicht so schlimm.

Papcke weist dann noch darauf hin, dass Wissenschaft sich heutzutage über Drittmittel finanzieren muss und jammert ein wenig über den „erbarmungswürdigen Zustand der Universitäten“. Man ist geneigt, ihm Recht zu geben.