village voice
: Kitty Yos most wanted: Raz Oharas neues Album

Weg mit den Geistern!

Es muss an der Jahreszeit liegen. Der Winter zieht sich zäh dahin, und besonders in Berlin wird man zunehmend melancholisch. Dass es aber den Menschen in Norwegen, Schottland oder Amerika im Moment auch nicht richtig gut geht, beweist die aktuelle Schwemme an introspektiven Seufzplatten. Von den Kings Of Convenience über Arab Strap bis hin zu Low gibt es eine Menge an zurückgelehnter und leiser Schönheit. Unaufgeregtheit und das Rückbesinnen auf die gute alte Gitarre als Schmerztransmitter ist derzeit Trumpf.

So wundert man sich dann auch nicht so sehr über den Stimmungswechsel bei Raz Ohara, der für seine letzte Platte „Realtime Voyeur“ immerhin noch als „kleiner Prince“ gefeiert wurde. Da zimmerte er eine Art Womanizer-Soul im Zeichen von Funk und Lässig-Pop zusammen, schraubte an allen möglichen Geräten rum und machte einen auf kleines Popgenie. Auf seinem neuen Album „The Last Legend“ hingegen wird man durch jammeriges Songwritertum nur so durchgeschüttelt. Fast ausschließlich auf der Akustischen begleitet sich Raz Ohara, und die Hölle der Wandergitarrenmusik liegt auch nicht so weit entfernt. Seine Stimmbänder verströmen allerdings immer noch feinsten Crooner-Soul. Wodurch der Vergleich mit Prince trotz der Reduziertheit auf das wirklich Allernötigste immer noch haltbar bleibt. Prince unplugged eben.

Raz Ohara ist Däne, heißt eigentlich Patrick Rasemussen und hat längere Zeit in der Schweiz gelebt, bis er vor ein paar Jahren in Berlin gestrandet ist. Seine Debütplatte passte damals sehr gut in das Überraschungsraster seiner Plattenfirma Kitty Yo, das diese zur Imagepflege besonders eifrig pflegte. Jetzt gibt’s bei denen plötzlich also auch Soul, aha, da ist ja alles möglich. Ganz losgelöst von Kitty Yo und deren Status als Berlin-Pop-Zugpferd lässt sich auch „The Last Legend“ nicht anhören. Die Platte wirkt fast wie eine Reaktion auf das ganze Berlin-Geschrei in der letzten Zeit, auf Patrick Wagners geballte „Jetzt geht’s los!“-Faust.

Die Geister die man selbst rief, möchte man nun wieder loswerden. Ironischerweise will nun aber ausgerechnet ein Act aus dem eigenen Stall den Chef bremsen. Doch wahrscheinlich ist Kitty Yo der ganze Trubel inzwischen selbst zu viel geworden, und von solchen Billigsamplern wie „Berlin macht Schule“ möchte man sich natürlich auch abgrenzen.

Raz Ohara ruft dazu auf, nochmals über alles nachzudenken. Er fragt nicht, wie es denn nun am schnellsten in die Charts geht, sondern „Where’s the road to China?“ Er tritt nicht als einer an, der den Masterplan fest in den Händen hält, sondern stellt lieber resigniert fest: „It’s all an illusion.“

Eine nachdenkliche und fast schon verstörend bedächtige Platte wie „The Last Legend“ tut dem ganzen Berlin-Hype derzeit mehr als gut. Raz Ohara lässt sich weder als abgefahrendster Scheiß von übermorgen noch als letzter Prenzlauer-Berg-Poet mit Ofenheizung vermarkten. Der Typ hat einfach nur eine wunderschöne Platte gemacht. Kann man nur hoffen, dass das mal wieder wichtig werden könnte.

ANDREAS HARTMANN

Raz Ohara: „The Last Legend“ (Kitty Yo/EFA)