Gesetzlich ausgeschlossen

Wenn ihre Mitschüler auf Klassenreise fahren, muss Medina zu Hause bleiben. Denn sie hat eine Duldung  ■ Von Sandra Wilsdorf

„Man möchte schon mal an die Ostsee fahren.“ Oder: „Man möchte eine kleine Privatsphäre“, sagt Medina* und deutet nur an, wie schwer es ihr fällt, Hamburg nie verlassen zu dürfen und seit Jahren mit der ganzen fünfköpfigen Familie in einem Raum eines ehemaligen Kindergartens zu leben. Medina und ihre Familie sind vor neun Jahren aus Bosnien geflohen. Sie haben eine Duldung. Das heißt: Sie dürfen nicht arbeiten, sondern leben von Sozialhilfe, können keine Wohnung mieten und Hamburg nicht verlassen. Und das bedeutet, dass Medina ab dem 23. April zu Hause bleiben muss, wenn ihre Mitschüler zur Klassenreise in die Schweiz aufbrechen.

„Schon als die Planungen losgingen, wusste ich, dass ich wohl nicht mit kann“, sagt die 17jährige Schülerin des Emil-Krause-Gymnasiusm in Barmbek. Aber gesagt hat sie es erst, als die Anzahlung fällig war. „Ich fühle mich so dazugehörig in der Klasse, deshalb wollte ich nicht darüber reden, denn dann merkt man, dass man doch anders ist, ausgegrenzt“, erklärt sie.

Mehr als die Hälfte ihres Lebens hat Medina in Hamburg verbracht. „Das hier ist mein Zuhause, aber man hat nicht die Chance normal zu leben.“ Sie möchte jobben, um sich Klamotten zu kaufen, wie ihre Freundinnen. Ihre Mutter ist in psychiatrischer Behandlung, alle zwei bis drei Monate entscheidet die Ausländerbehörde, ob die Duldung verlängert wird. Dass Medina unter diesen Umständen die Realschule geschafft hat und nun auf das Abitur zusteuert, will sie nicht als Leistung sehen, „das kann jeder, man gewöhnt sich daran“. Aber wenn sie träumen darf, fällt ihr doch ein, was fehlt: „Wir hoffen, dass wir eine Aufenthaltsbefugnis bekommen, ich würde so gern mein Abitur machen und studieren, vielleicht etwas mit Marketing oder Medien.“ Hierbleiben dürfen, keine Sozialhilfe mehr bekommen, sondern arbeiten und endlich eine Wohnung beziehen. Und vielleicht endlich Jazz Dance machen, „ich würde gerne tanzen, aber das Geld reicht nicht.“

Über die Klassenreise sagt Medina. „Es wäre so schön dabei zu sein.“ Sie versteht sich gut mit ihren Mitschülern. Die vermeiden es, in ihrer Anwesenheit über das Thema zu reden und wären bereit gewesen, nicht in die Schweiz zu fahren, sondern eine Projektwoche in Hamburg zu machen. „Aber ich wollte nicht, dass so viel von mir abhängt. Ich war ja die einzige mit diesem Problem“, sagt sie.

In Hamburg leidet sie alles andere als allein unter dieser Regelung, die alle pädagogisch verordneten Integrationsprojekte konterkariert: Nach Angaben der Ausländerbehörde haben etwa 10.000 Flüchtlinge den Status der Duldung, mehrere Tausend davon sind Kinder und Jugendliche. Die Schulbehörde hat für sie einen „Leitfaden für Klassenreisen mit ausländischen Schülerinnen und Schülern“ erstellt und an alle Schulen verteilt. „Wir versuchen, für das Thema zu sensibilisieren“, sagt Frauke Scheunemann, Sprecherin der Schulbehörde. Man habe sich mit der Innenbehörde geeinigt, dass geduldete Schüler innerhalb Deutschlands reisen dürfen, „aber für Auslandsreisen gilt das nicht“. Dafür bedürfe es einer bundeseinheitlichen Regelung.

Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde, nennt es eine „dumme Geschichte“, dass Medina ausgeschlossen ist und erklärt das so: „Die Duldung erlischt mit der Ausreise, eine Rückkehr nach Deutschland ist also rechtlich ausgeschlossen.“ Es gebe zwar Bestrebungen, mit europäischen Ländern, die das Schengener Abkommnen unterzeichnet haben, eine Sonderregelung zu finden, aber für die Schweiz werde die wohl auch nicht gelten. „Da braucht man ja ein Visum“, sagt er. Medina ist zu bescheiden, um darüber wirklich wütend zu werden. Nur traurig. Und nüchtern: „Es wäre schön, dabei zu sein. Aber wenn ich daran denke, wieviel wirklich davon abhängt, ist es wenig im Vergleich zu der Entscheidung, ob wir in Deutschland bleiben dürfen oder nicht.“

*Namen geändert