Plätten für Dr. Ohnsorg

■ Heidi Kabel Seit' an Seit' mit buntscheckigen Männer bei Madame Lothàr. Wir erklären dieses Wunder

„Willkommen in der Wunderwelt von Madame Lothar. Leider sitzen wir zur Zeit im Kühlschrank, damit wir bei der nächsten Show wieder frisch aussehen“, flötet der Anrufbeantworter von Bremens einzigem Laden, der den Namen Etablissement verdient. Mit dabei ihm Kühlschrank muss Heidi Kabel gewesen sein. Denn die 86-Jährige zeigte in einem feuerroten Traum von einem Kostüm eine Power, die das Publikum zu vulkanartigen Begeisterungsausbrüchen hinriss. Und manchmal tänzelte sie zu ihren Liedern wie ein Mädchen. Und erst ihre Quassellaune. Die ist nach wie vor ungebrochen. Das Kostüm aus Spitzenstoff ist maßgeschneidert von Jürgen Hoffmann. Der einzige Courtier, der singen kann, und zwar wirklich gut – jetzt erwähne niemand den Namen Mooshammer.

Die Wunderwelt beginnt bereits am Einlass mit einer kalkweißen, schönen Stummen, die richtig sprechen kann – mit ihren großen Märchenaugen.

„Stellen Sie sich vor, sie seien im Covent Garden“, beschwört Madame das Publikum. Und nun fällt doch der Name Mooshammer. Der nämlich würde Madame beneiden um ihre staubwedelartig-explodierende Haarpracht. Ein pfauenartiges Geschöpf namens Matthias warnt die Fotografen: „Zoomen Sie mich nicht so dicht ran, sonst zerstören Sie Ihre Illusion.“ 5.000 Mark hat die Boa-Konstruktion gekostet. Für Schönheit aber sind hier die feschen Kellnerinnen zuständig und zwei überaus aparte Transvestiten mit Einhornskulptur auf dem Kopf.

Verkleidung ist hier explizites Thema. „Lieber ein Gesicht, das bemalt ist als vom Leben gezeichnet.“ Oder: „Ich bin eine Illusion, aber Sie sind eine Realität“, was unmissverständlich als Beleidigung verstanden werden will. Diese „Realität“ besteht aus: 50-Jährigen mit einer Dröhnlache, die jederzeit für einen Mallorcaurlaub qualifiziert; einige Altfans, die Heidi Kabel wahrscheinlich seit Vorkriegstagen begleiten; einige ausgesprochen adrette junge Pärchen, wo man sich fragt, wie kommen die auf Heidi; dem einen oder anderen perfekt gekleideten Schwulen. Einer davon meint, er liebe die Kabel wegen ihrer immer wieder beschworenen „Volksnähe“. Für Bewunderer von Marlene Dietrichs Hosenanzügen und Marianne Rosenbergs pathetischem Wimpernzucken ein überraschendes Argument.

Kicherte man anfangs noch über einen „reibungslosen Ablauf“, so gerieten die Witze mit fortschreitender Stunde zunehmend feuchter und die entsprechenden Organe wurden zur Witzproduktion bis zum letzten ausgequetscht. Da erfuhr man, dass sich Männer so breitbeinig hinflätzen, weil sie „auf einem Kugellager sitzen.“ Außerdem ist Palmin manchmal hilfreich. „Denn es schließt die Poren und gibt den Saft zurück“. Und in gepflegter Kelleratmosphäre, wo der rote Plüsch dezent dunkel gehalten ist und die Longdrinks Lady Diana heißen, ist das richtig lustig.

taz: Wie kommen Sie zur Travestie.

Kabel: Ich mag den Matthias und den Lothàr. Wir haben uns gefreut wie die Kinder, zum zweiten Mal hierherzukommen.

Matthias: Wir halten unter den Travestietheatern eine Klasse, die ist in Deutschland einmalig. Wir sind niemals anstößig. Es gibt nichts Nacktes. Eine Travestieshow muss natürlich pikant sein, aber nicht primitiv. Darum kommen Personen wie Brigitte Mira oder Heidi zu uns. Mittlerweile ist daraus eine echte Freundschaft entstanden.

Kabel: Einmalig hier ist auch die Arbeit hinter der Bühne. Während der Vorstellung ein ständiges Treiben, Kostüme aufräumen, Schminken, das habe ich nirgends anders so gesehen.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Vorsprechen vor Richard Ohnsorg 1932?

Heidi Kabel: Sehr genau. Eine Freundin von mir wollte zum Theater. Mein Vater riet ihr zum Ohnsorg-Theater. Als es ans Vorsprechen ging, dreht sie sich um und sagt: „Heidi ich geniere mich so, komm doch bitte mit.“ Ich fand das toll, ich war damals 18.

Jürgen Hartmann: Deine Mutter schickte dir noch einen Satz hinterher.

Kabel: Sie sagte: „Heidi, DU NICHT.“ Ich sage, nein, will ich doch auch nicht. Dr. Ohnsorg aber sprach dann immer von „ihr beide“. „Ihr beide müsst jeden Morgen zur Probe, Ihr beide müsst Eure Sachen plätten...“

Selber bügeln?

Ja sicherlich.

Lothar: Machen wir auch.

Kabel: Dann meinte Dr. Ohnsorg, wir sollen uns die Proben ansehen. Dort war man nicht davon begeistert. Dann sagte eine Stimme aus dem Hintergrund: „Aber hereinlassen musst du die beiden wohl erst mal“ – und das war mein späterer Mann.

Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau hat bei diversen Jubiläen und bei Ihrem Abschied vom Theater an Silvester 1998/99 Reden gehalten. Ein Fan?

Ich habe ihn gleich nach seiner Geburt im Arm gehalten. Sein Vater Karl Voscherau und sein Onkel Walter Scherau haben bei uns mitgespielt. Voscherau ging dann ans Thalia-Theater. Und durch den Scherau sind wir im Fernsehen gelandet. Das Fernsehen wollte eigentlich nur ihn. Aber es gab keine geeigneten Stücke für ihn. Die hatten wir. Durch das Fernsehen sind wir beliebt geworden und geblieben, bis heute.

Aber 1995 war doch das Theater hochverschuldet wegen Zuschauerrückgang.

Hartmann: Man schreibt schon lange wieder schwarze Zahlen. Der junge Seeler hat das Theater wieder auf Vordermann gebracht.

Kabel: Auch eine Frage der Stücke. Der Mann meiner Tochter hat Stücke vom Spanischen ins Deutsche übersetzt, und meine Tochter übertrug sie dann ins Platt.

Marlene Jaschke wurde von „Theater heute“ die „Heidi Kabel der Jungen“ genannt. Ist das Schmidt-Theater das Ohnsorg von heute.

Kabel: Nein, das Schmidt ist Slapstick, und wir machen alles vom Ernsten bis zum ganz Heiteren.

Wie entstehen die Lieder?

Die Alten machte mein Mann.

Madame Lothár: Mit dem Disco-Lied „Die Oma im Internet“ würde Heidi jederzeit den Grand Prix gewinnen.

Sie benutzen das Internet?

Nein, ich bin geboren in einer Zeit, da gab es kein Telefon. Aber ich habe eine Website, www.heidikabel.de. Da singe ich, erzähle Geschichten und frage immer: „Was ist das Internet?“

Wie haben Sie, Herr Hartmann, Heidi Kabel vor 31 Jahren kennen gelernt.

Hartmann: Irgendwann musste Frau Kabel aus ihrer Tristesse – sie war Mutter von drei Kindern und trug beige und grau – gerettet werden. Die Frau musste schließlich mal Farbe bekommen.

Wie kommen Sie zur Bühne?

Ich habe sieben Jahre Gesang studiert. Aber wegen dem Krieg musste ich eine Schneiderlehre machen. Später wurden Margot Werner, Ilse Werner meine Kunden. Und für die Olympiade in Berlin machte ich ein Kostüm für Josephine Baker. bk

Bis 17. März um 21 Uhr. Tel.: 337 91 91