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: Musikverein emanzipierter als HipHop

Kulturschock

Der Aschermittwoch ist vorbei, wir stecken mitten in der Fastenzeit. Leider gilt der Karneval in Berlin immer noch nicht viel, es sei denn, er wird von anderen Kulturen vorgeführt. Beim Anblick von gut gelaunten farbenfrohen Fremden verfallen auch kontaktarme norddeutsche Jurastudenten, bohemistische Szenecafé-Stammgäste und aufgeschlossene Studienrätinnen in kreisende Hüftbewegungen.

Dabei stimmt es ja gar nicht, dass es beim deutschen Karneval nur ums Besaufen und um sinnlose Büttenreden geht. Im Badischen ist zum Beispiel die Sitzung des Karnevalclubs der kulturelle Höhepunkt des Jahres. Wochenlang haben Aktivisten gebastelt und geprobt, um bei der großen „Prunk- und Fremdensitzung“ die aufregendsten Dorfgeschehnisse Revue passieren zu lassen. So wird die skandalöse Geschichte einer Jugendclique, die zum Ausflug ein Bierfass mitnahm, aber die zum Zapfen unabkömmliche Kohlensäure vergaß, liebevoll szenisch dargestellt.

Oder Skandal Nr. 2: Der Männergesangsverein sang zur Hochzeit, und der Bräutigam hatte in völliger Verkennung der Sachlage zur anschließenden Bewirtung nur zwei Kästen Bier bereit bestellt. Völlig klar, dass dieses Vergehen gegen die Menschlichkeit in Sperrholz nachgebaut und mit fünf kunstvoll getexteten Strophen öffentlich gemacht wird. Manche Geschichten sind so verblüffend, dass sie gar keine Pointe brauchen: Wenn dem Gemeinderat bei der jährlichen Waldbegegnung zweimal derselbe Jogger begegnet, so ist diese außergewöhnliche Begebenheit wert, mit frisch geschlagenen Fichten nachgestellt und nach der Melodie des Volkslieds „Ein Jäger aus Kurpfalz“ vertont zu werden.

Aber wer jetzt ob der kleinen spießigen Dorfwelt überheblich amüsiert schmunzeln will, dem sei es gesagt, dass es dort moderner als hier in Berlin zu geht. Der Musikverein zum Beispiel ist gemischtgeschlechtlicher organisiert als der gesamte deutsche HipHop und Indierock zusammen. Die neu Zugezogenen scheinen bestens integriert, die Karnevalsprinzessin kam aus Bosnien, der Prinz aus Russland. In den spaßigen Redebeiträgen wurden zwar hauptsächlich die Themen Becker, Beckenbauer und BSE verhandelt, aber es ging dabei nicht homophober und sexistischer als, sagen wir mal, auf der Berlinale oder bei Viva 2 zu. Fremdenfeindlichkeit äußerte sich nur in herabsetzenden Witze über das Nachbardorf. Dann wand sich eine generationsübergreifende Polonaise durch die Schwarzwaldhalle. Es ist eine fremde, schöne Welt, und kommt man von solchen Ausflügen in die Idylle wieder ins schnöde Berlin zurück, kann das einen ausgewachsenen Kulturschock nach sich ziehen.

Aber zum Glück gestaltete sich der Land-Stadt-Übergang diesmal sanfter. Denn 2001 fand der Karneval in Berlin erst Donnerstagnacht in der Volksbühne mit der „Operation Pudel“ einen würdigen Abschluss: Die beiden Elferräte Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun waren gleichzeitig die Zeremonienmeister, das Tanzmariechen Hanayo im provozierenden Deutschlandpullover über den sexy Netzstrümpfen sang und betonte dabei wieder einmal das Performative ihrer Performance. Im Sternfoyer wurden nummerierte Eier, saure Gurken, kein Bier und kein Sekt angeboten. Im Roten Salon standen zwei Narren mit Schellenstäben auf der Bühne und führten einen neuen absurden Tanz vor .

Später turnte noch Silvesterboy im Gladiatorenschurz mit Laserschwert und Stars-and-stripe-Cape gekonnt imperialistisch- antiimperialistisch auf der Bühne herum. In Berlin ist eben immer Fastnacht (Karneval). CHRISTIANE RÖSINGER