Der beste Schnee der Welt

Mit den Weltmeisterschaften der Eisschnellläufer enden die vorolympischen Wettkämpfe in Salt Lake City und die Organisatoren sind erleichtert, dass es endlich mal Positives zu berichten gibt

aus Salt Lake City EGON BOESTEN

Oben im Tower, im dreizehnten Stock an der South Main Street, ist man noch etwas ratlos. Einen Stadtplan? Nehmen Sie doch die Kopie aus den Gelben Seiten, wird dem Besucher geraten, der sich in diesen Tagen dorthin verirrt hat. Knapp ein Jahr vor Beginn der Olympischen Winterspiele von Salt Lake City ist noch vieles davon entfernt, perfekt zu funktionieren.

Soll ja auch nicht, sagt Jean-Claude Killy, französisches Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Der alpine Olympiasieger vergangener Tage ist zurzeit mit einer 40-köpfigen IOC Kommission in der Stadt am Großen Salzsee, um sich vom Stand der Vorbereitungen zu überzeugen. Die Pannen, die es beim Snowboard-Weltcup am vergangenen Wochenende gab, sind dem Franzosen nicht entgangen, „aber genau deswegen sind die Tests ja da“. Daneben gab es aber auch positive Ergebnisse zu vermelden. Die Halfpipe wurde von den Freestylern über den grünen Klee gelobt. Goldmedaillengewinner Danny Kass aus den USA meinte: „Sie ist ziemlich dicht dran, eine der besten Halfpipes der Welt zu werden.“ Salt Lake Citys Organisationschef Mitt Romney hatte bei Kass’ Verbesserungsvorschlägen eben genau hingehört.

Hinhören und hinschauen – das war auch das Ziel einer Gruppe aus Turin. Evelina Christillin, Präsidentin des Organisationskomitees, führte die Delegation aus der Olympiastadt 2006 an. Hautnah haben die Italiener erlebt, was die Organisatoren von Salt Lake City ein Jahr vor der Eröffnung der Winterspiele 2002 beunruhigt und was sie zufrieden stellt. „Ich bin richtig neidisch; ich wäre gern an ihrer Stelle“, lautete das Fazit der Italienerin, die einige Vorurteile nicht bestätigt fand. „Man hört von den Mormonen und ihrer Kultur, einer sehr geschlossenen Gesellschaft“, sagte Evellina Christillin, „aber es gibt hier eine offenere und wärmere Gemeinschaft, als ich mir vorgestellt habe.“

Wenn an diesem Wochenende die vorolympischen Wettbewerbe mit den Einzelstrecken-Weltmeisterschaften der Eisschnellläufer im funkelnagelneuen Utah Olympic Oval abgeschlossen werden, denkt in der Stadt der Mormonen und der Kupferbarone niemand so richtig an Wintersport. Zwar gibt es in Park City, Austragungsort der alpinen Wettbewerbe, auch Mitte März immer noch den „Greatest snow on earth“, wie die Amerikaner in aller Bescheidenheit vermelden, in Salt Lake City aber ist der Frühling ausgebrochen.

Bei Temperaturen weit über 20 Grad Celsius kann die Eisschnelläuferin Anni Friesinger gut auf ihren wärmenden Fellmantel verzichten, als sie auf der Main Street für ein Fernsehfeature posiert. Die Aufnahmen finden weit gehend unbeachtet von der Öffentlichkeit statt. Das soll sich ändern: an diesem Wochenende, wenn auf Friesingers Lieblingsstrecken (1.000 m, 1.500 m, 3.000 m) die Weltmeisterschaftstitel vergeben werden. Spätestens aber im nächsten Jahr, wenn es an gleicher Stelle um olympisches Gold geht.

Anni Friesinger strahlt am Vorabend der Einzelstrecken-Weltmeisterschaften im gerade fertig gestellten Utah Olympic Oval Zuversicht und Optimismus aus. Kein Wunder beim gerade erst gelaufenen Super-Weltrekord über 1.500 Meter. Und die Jagd auf die Bestmarken, die bislang fast ausschließlich dem kanadischen Calgary vorbehalten waren, geht an diesem Wochenende in der neuen Halle auf dem Gelände der Kearns-Highschool, 20 Kilometer vor den Toren von Salt Lake City, schon munter weiter. Die dünne Luft des auf knapp 1.000 Meter hoch gelegenen Calgary hatte bislang dafür gesorgt, dass andere überdachte Eisschnelllaufbahnen der Welt im Wettstreit um die besten Zeiten kaum eine Rolle spielten. Calgarys Eis ist das schnellste der Welt, sagte man bis vor kurzem.

Aber Salt Lake City hat gleichgezogen. Für 120 Millionen Mark haben die Olympiaplaner eine Eishalle auf 1.300 Meter Höhe gebaut. Nick Thomez, selbst für die USA dreimal bei Olympia als Eisschnellläufer aktiv und verantwortlicher Projektmanager Speedskating, versprach schon vor dem ersten Startschuss: „Das Eis wird gut und schnell sein.“ Auch die Luftveränderungen glaubt man im Griff zu haben. Thomez: „Wir haben ein schönes Gebäude mit besonderem Augenmerk darauf, wie die Luft in die Halle reingeht und wieder rauskommt.“ Eine Unsicherheit könnte die Veränderung des Luftdrucks durch Publikum bedeuten. Die Halle fasst 6.500 Zuschauer. Luft und Eis könnten unkontrollierbar aufgewärmt werden. „Das ist das Einzige, was neuen Bestzeiten am Wochenende im Weg stehen könnte“, meint die Amerikanerin Chris Witty, die ebenso wie Claudia Pechstein (3.000 m) und Friesinger beim Weltcup-Finale in Calgary mit einem neuen Weltrekord (1.000 m) geglänzt hatte.

Für IOC-Beobachter Jean-Claude Killy dürften weniger die Rekorde eine Rolle spielen als die Erleichterung darüber, dass Nachrichten über einen weggebrochenen Betonfußboden im Olympic Oval, ein eingestürztes Hallendach oder die bange Frage, ob die Einzelstrecken-WM überhaupt stattfinden könnte, Schnee von gestern sind. Als Killy ein Jahr vor den Spielen 1994 Lillehammer besuchte, hatte er mit dem von Zweifeln geplagten norwegischen Organisationschef Gerhard Heiberg um eine Flasche teuersten Rotwein gewettet, dass Lillehammer die schönsten Spiele aller Zeiten ausrichten werde. Dieselbe Wette bot der Franzose jetzt Mitt Romney an. Der OK-Chef der immer noch vom Bestechungsskandal überschatteten Spiele in Salt Lake City lehnte vorsichtshalber ab: „Den Wein, den ich kaufe, würden Sie ohnehin nicht wollen.“