Cowboy contra Guerillero

Politik ist immer Theater. In Mexiko hat die Performance inzwischen Perfektion erreicht. Präsident Fox und Zapatistenführer Marcos sind zwei ebenbürtige Politdarsteller

In Presse und Fernsehen erscheintdie „Zapatour“ zunehmend alsindigene Love Parade

Das Bühnenbild scheint übersichtlich: auf der einen Seite ein schreibwütiger Guerillero mit Maske und Patronengurt, der sich auf den langen Marsch vom Dschungel in die Hauptstadt gemacht hat – auf der anderen Seite ein improvisierfreudiger Präsident in Jeanshemd und Cowboystiefeln, der ihn am liebsten im Präsidentenpalast willkommen heißen würde. Beide agieren als begnadete Dramaturgen, die sich selbst vorzugsweise vor einer riesenhaften Nationalflagge, ob im Dschungel oder im Parlamentsgebäude, inszenieren. Und beide beschwören, der eine seit ein paar Monaten, der andere seit mehr als sieben Jahren, ein „neues“ Mexiko – und ernten dafür, beim jeweiligen Fan-Publikum, frenetischen Beifall. Schließlich haben beide, Subcomandante Marcos, Wortführer der Zapatistenguerilla EZLN, und sein Gegenspieler Vicente Fox, frisch gekürter Business-Präsident Mexikos, ihr jeweiliges Genre erfolgreich revolutioniert. Beim maskierten Guerillero ist an die Stelle des Waffen- nun eine Art Wortfetischismus getreten, statt humorlosen Agitprops bietet er Ironie und Humor, Essays und Poesie. Auch der hemdsärmelige Fox unterläuft immer wieder die Riten seines Amtes und setzt sich regelmäßig über Sicherheitsdoktrinen und protokollarische Vorschriften hinweg. „Hola Rey“, hallo König, hatte er, sehr zum Erstaunen der anwesenden Reporter, den spanischen König begrüßt, als dieser ihm telefonisch zum Wahlsieg gratulierte.

So wird beiden regelmäßig der gleiche Vorwurf zuteil: Sie seien Showstars in einer groß angelegten Farce, wahlweise auch Zirkus oder Posse, Show oder Spektakel genannt. Zapatismus wie Foxismus seien „leere“ Ismen, die politische Wirklichkeit mit einer theatralischen Inszenierung verwechseln. In einem Wort: Fox wie Marcos machten gar keine Politik, sondern lediglich Theater. Der Vorwurf geht allerdings von der irrigen Annahme aus, irgendwo da draußen gäbe es so etwas wie „echte“ Politik, während hier drinnen, in einem abgeschirmten Theatersaal, den Zuschauern etwas „Inszeniertes“ vorgegaukelt würde. Dabei ist doch alle Politik, im szenischen und im übertragenen Sinne, Theater: eine permanente Performance, bei denen mehr oder weniger talentierte Akteure, nach einstudierten Texten oder in freier Improvisation, die Herzen und Köpfe der ZuschauerInnen – das, was man gemeinhin Öffentlichkeit zu nennen pflegt – zu erobern trachten.

Seit ihrer spektakulären Erhebung, so ließe sich behaupten, hatten Marcos und die Zapatistas ihre politische Bühne für sich allein. Mal mehr, mal weniger beleuchtet, mal waren die Ränge brechend voll, mal gähnend leer, immer umstellt vom Wachpersonal der Mächtigen. Auf die Bühne selbst hatten sich die Statthalter einer versteinerten Betonrevolution, mangels Talent und mangels Gespür, so gut wie nie getraut. Nun gibt es, seit dem Sturz der über siebzig Jahre währenden Parteiendiktatur im vergangen Juli, mit Vicente Fox erstmals einen ebenbürtigen Mitspieler. Denn dieser hat das zapatistische Polittheater besser verstanden als manche Anhänger: Sein bekanntester Wahlkampfslogan lautete schlicht „ya“ (genug!). Dieses effektvoll eingesetzte „Mantra“ war, wie sein PR-Designer heute freimütig gesteht, von der „genialen Marketingstrategie“ der Zapatistas und deren Schlachtruf „Ya Basta“ (Es ist genug!) inspiriert. Wie Marcos ist auch der unorthodoxe Konservative Fox ein Diskursstratege mit Sinn für Humor und Extravaganz, der schon seinen Wahlkampf als „direkte Ansprache“ an die zivile Gesellschaft – unter Umgehung aller institutionalisierten Politik – ausrichtete und sich dabei ebenfalls aus dem Fundus des Theaters, seinen Requisiten und Repertoires, bediente. Gegen die zapatistische Maske und die Marcos’sche Pfeife setzte er seine Stiefel und seine Gürtelschnalle mit Fox-Logo, dem Patronengurt von Marcos entsprach die Präsidentenschärpe, dem revolutionären Glamour das rustikale Charisma des Rancheros. „Bild vs. Bild“, titelte kürzlich die Wochenzeitung Proceso. Auf dem Cover ist Marcos zu Pferde zu sehen, neben ihm, in exakt derselben Pose, ein reitender Fox. „Beide haben sich selbst erfunden“, resümierte ein mexikanischer Kolumnist einmal treffend das Erfolgsgeheimnis der beiden Image-Politiker.

Verschiedener könnten sie, trotz aller strategischen Parallelen, allerdings kaum sein. Denn: der Politiker Vicente Fox spielt letztlich sich selbst. Sein Ziel ist es, die Person (der 58-jährige Exunternehmer) mit der Rolle (des Präsidenten) – gewissermaßen gemäß der Stanislawski-Doktrin vom schauspielerischen „Durchleben“ – möglichst überzeugend zur Deckung zu bringen. Subcomandante Marcos hingegen hält es, theatertheoretisch gesprochen, eher mit der Brecht’schen Verfremdung: Es gibt genau genommen keine Person, nur eine personaje, eine selbst geschaffene literarische Figur, hinter der sprechenden Kapuze. Diese fungiert als Stimmenbündel in verschiedenen Funktionen: Mal spricht sie als Chronist, als Übersetzer oder als literarischer Autor, mal als „ich“ und mal als „wir“, mal als indigener Weiser, el Viejo Antonio, und mal als Pfeife schmauchender Käfer, Don Durito. Noch entscheidender: Die Grenzen zwischen politischem Theater und Marketing sind bekanntlich, nicht nur in Mexiko, fließend.

Gegen die Maske und die Pfeife von Marcos setzte Fox seineStiefel und dieGürtelschnalle

Jeder Bühnenauftritt dient nicht nur dem Kunstgenuss, sondern ist zugleich – medial multipliziertes – Verkaufsmarketing. So bezichtigen sich beide Seiten regelmäßig einer „Publicity-Kampagne“ – und beide haben selbstverständlich Recht. In den Medien wird dies gerne als „Wettbewerb“ ums politische Rating bezeichnet. Doch die scheinbar so nahe liegende Metapher hinkt. Denn konkurrieren können letztlich nur diejenigen, die vergleichbare Produkte anzubieten haben. Zwar wollen beide, Präsident wie Guerillero, ihren Zuschauern in der Tat etwas „verkaufen“. Die Frage ist nur was: der eine, Fox, eine befriedete Musterdemokratie als idealen Investitionsstandort, vor allem aber zünftige Lederstiefel und Avocados made in Mexico. Der andere hingegen nur eine vage, ungleich weniger „verkäufliche“ Idee: dass das Recht der Indios auf Differenz und Teilhabe, nicht nur auf Kleinwagen und Mikrokredite, etwas mit dem Recht des ganzen Landes auf Diversität zu tun hat. Und dass irgendwo, out there, noch etwas anderes möglich sein muss als marktliberaler Mainstream und Einheitsdenken.

Im „Verkaufen“ wird ein Geschäftsgenie wie Fox daher kaum zu schlagen sein. Waren die Aufständischen bis vor kurzem von Militärs und Repression bedroht, so droht ihnen heute vor allem die Umarmung und Einverleibung durch die medialen Allesfresser. In Presse und Fernsehen erscheint die so genannte Zapatour, der zweiwöchige Marsch der EZLN-comandancia durch die Republik, zunehmend als indigene Love Parade, auch die paradoxe Wollmaske („die Verhüllung, um den Indios ein Gesicht zu verschaffen“) könnte bald zum bloßen Markennamen zu verkommen. Einer prominenten Klatschkolumnistin gab Marcos kürzlich erstmals biografische Bruchstücke preis: zur Kindheit, zur Ehefrau („eine Expertin im Zeitungslesen“) und zum Kinderwunsch („wir sind dabei“). Sicher ein Schritt zur Menschwerdung der Maske, aber eben auch ein Bruch mit dem eigenen Konzept. Wohin das führen kann, ist in einem Werbespot der Firma Viana, Marktführerin bei Waschmaschinen und Bügeleisen, zu bestaunen. Darin sitzt ein Pfeife rauchender Maskierter am Laptop, ein Hahn kräht in der Ferne. „Wir marschieren in die Hauptstadt, um die Lebensbedingungen unserer Leute zu verbessern“, sinniert der telegene Marcos-Verschnitt. „Und als Marketingexperten wissen wir natürlich längst, dass wir in Viana alles dafür finden werden.“

So stellt sich für jeden Bühnenstar irgendwann die Frage nach dem würdigen Abgang. Bevor das Spiel vollends zum Ritual wird, bevor die Reaktionen allzu berechenbar werden. Der eine muss, zumindest für die nächsten sechs Jahre seiner Amtszeit, bleiben. Der Vorhang schließt sich nie, die Bühne bleibt ausgeleuchtet, die Zuschauer können den Saal gar nicht verlassen. Der andere aber könnte abtreten. Klammheimlich, bevor es zu spät ist und er in einem Stück mitspielt, dessen Skript er nicht gelesen geschweige denn verfasst hat. Vielleicht kann er ein Bandgerät hinterlassen, wenn der mediale Vorhang – wie so oft in diesen sieben Jahren – gerade wieder einmal gefallen ist. Oder einen anderen hinter die Bühne bitten, der sich die Skimaske überzieht und erneut zum Leben erweckt. Das wäre dann wieder Performance – und nicht (nur) Publicity.

Aus demzapatistischen „Yabasta“ (Es ist genug!) machte Fox dasschlichte „ya“ (genug!)

ANNE HUFFSCHMID