Keine Kinder ohne Kinderstube

Bürgerinitiative zur „Rettung der Elbe“ in Wittenberg gegründet. Vertiefung des Flusses bedroht flache Uferzonen und Auenwälder. Binnenschifffahrt weiter zurückgegangen

BERLIN taz ■ Wo im vergangenen Sommer ein heller Sandstrand lag, erhebt sich jetzt ein öder Schotterdamm. Nicht nur bei Wittenberg-Gallin lässt die Wasser- und Schifffahrtsbehörde tausende von Tonnen Gestein auffahren, um Buhnen zu bauen und die Ufer steiler zu machen. Auch an vielen anderen Stellen zwischen der Lutherstadt und Dessau sowie zwischen Havelberg und Boizenburg soll die Elbe eingezwängt werden, um die Fahrrinne tiefer zu machen.

„Ein lebendiger Fluss wird zu einem toten Kanal“, fürchtet Pfarrer Friedrich Schorlemmer, der gestern in Wittenberg mit anderen die „Bürgerinitiative zur Rettung der Elbe“ gründete. Die Aktiven wollen verhindern, dass dem noch weitgehend frei fließenden Fluss ein ähnliches Schicksal droht wie Rhein, Mosel, Donau oder Neckar. An der Elbe gibt es noch Auenwälder, und im Fluss leben Biber, Aale, Barben und Zander. „Die flachen Ufer sind die Kinderstube von etwa 30 Fischarten. Ohne Kinderstube aber gibt es keine Kinder“, warnt Paul Dörfler vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Außerdem könnten als Folge der künstlichen Vertiefung die Auenwälder austrocknen. Wie wertvoll das Gebiet ökologisch ist, zeigt sich daran, dass die Unesco gerade dessen Anerkennung als Weltkulturlandschaft vorbereitet.

500 Millionen Mark sind im Bundesverkehrswegeplan von 1992 für den Ausbau vorgesehen. Der Gesprächsfaden zwischen Umweltverbänden und Verkehrsministerium ist nach einem vorübergenden Dialog wieder abgerissen. Höchst umstritten ist, ob es überhaupt einen Bedarf für den Ausbau gibt. Denn die Binnenschifffahrt ist spürbar zurückgegangen. Zudem können selbst nach dem Ausbau nur halb- oder viertelvoll beladene Schiffe die Elbe im Sommer und Herbst während ihres Monate dauernden Niedrigwassers nutzen. Gegen den Ausbau sprechen auch andere Anliegen: Baden und Paddeln im Fluss wird bei Ökourlaubern immer beliebter. Und bald soll es auf den Märkten wieder Elbfische zu kaufen geben. ANNETTE JENSEN