Brüssel ringt um Chemikalienpolitik

EU-Kommission im Dilemma: Umweltschützer fordern strenge Überprüfung von Gesundheitsgefahren. Industrie fürchtet Restriktionen. Schweden plant weiter gehende Verordnungen als Brüssel. Kanzler Schröder auf Seite der Unternehmen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Das Strategiepapier der EU-Kommission zur künftigen Chemikalienpolitik ist gestern zum ersten Mal im Umweltrat diskutiert worden. Der zuständige deutsche Umweltstaatssekretär Rainer Baake umschrieb die deutsche Position so: „Wir haben kein Interesse daran, dass ein Investitionsstau entsteht. Wir haben aber auch die Verantwortung, den Verbraucher vor gefährlichen Chemikalien zu schützen.“ Der Meinungsbildungsprozess im Rat sei noch nicht abgeschlossen. Auch in Deutschland gebe es noch Diskussionsbedarf. Mitte März werde die Bundesregierung in Frankfurt ein Forum veranstalten, auf dem chemische Verbände, Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschützer ihre Position darstellen könnten.

Der Streit über die von der Kommission vorgeschlagene Strategie hatte schon im Februar begonnen, als Details aus dem Weißbuch durchsickerten. Die Kommission will, dass von etwa 30.000 EU-weit häufig benutzten chemischen Substanzen, die vor 1981 auf den Markt gebracht und deshalb weder auf Umweltverträglichkeit noch auf gesundheitliche Wirkungen getestet wurden, wenigstens „grundlegende Daten“ registriert werden.

Während Umweltschützer und grüne EU-Parlamentarier die Vorschläge als zu zaghaft bezeichnen, gehen sie den Chemieverbänden zu weit. Schon im Dezember machte Kanzler Schröder in einer Rede bei BASF in Ludwigshafen deutlich, dass er die Industrie unterstützt: „Ich habe das gelegentlich verlacht gesehen, als es eine Altautorichtlinie geben sollte. Ich habe damals gesagt: Hier muss ein Kompromiss zwischen den Entsorgungs- und den Produktionsnotwendigkeiten gefunden werden.“

Schweden, das derzeit den Ratsvorsitz führt, will in seiner nationalen Gesetzgebung weit über die EU-Strategie hinausgehen. Anfang Februar legte die Regierung dem Parlament ein Chemieweißbuch vor. Es sieht vor, dass chemische Substanzen, die sich im Organismus anlagern wie Kadmium und Blei, bis 2010 aus dem Produktkreislauf verschwunden sein sollen. Zum gleichen Zeitpunkt sollen alle Produkte mit Umwelt- und Gesundheitsinformationen über die gefährlichen Substanzen versehen sein, die sie enthalten. Umweltschädigende Produktionsverfahren, Krebs erregende und die Erbsubstanz schädigende Stoffe sollen binnen fünfzehn Jahre vollständig verschwinden. Die Bundesregierung argumentiert, sie könne die schwedische Strategie schon deshalb nicht übernehmen, weil in Deutschland die chemische Industrie einen viel bedeutenderen Wirtschaftsfaktor darstelle.