Harte Arbeit im Illegalen

Nicht nur in Frankfurt am Main kämpfen Prostituierte um Anerkennung ihrer Jobs – auch um sich vor Abschiebung zu schützen. Die Bundesregierung plant jetzt ein entsprechendes Gesetz. Ein Werkstattbericht

von GITTA DÜPERTHAL

Mit den Arbeitsbedingungen steht es im Frankfurter Bahnhofsviertel nicht gut. Wenn man das Bordell – nennen wir es mal „Saunaclub Angela“ oder „Club 69“ – betritt, sieht man als Erstes abgeplatzten Putz an den Wänden; die Schuhsohlen bleiben in der Schmutzschicht auf den Treppen kleben, ein unangenehmer Geruch sticht in die Nase. Überall sind Schilder angebracht: „Essen in den Zimmern nicht gestattet.“ Auf diese Weise sollen Kakerlaken ferngehalten werden.

Entgegen den Klischees sind hier nicht nur finstere Typen unterwegs: „Und es gehen mit der Frau Studenten, und auch Herr Zahnarzt Schmidt. Redakteure, Superintendenten, die nimmt sie alle mit“, beschreibt Kurt Tucholsky die Geschäfte einer Hure in seinem „Lied von der Gleichgültigkeit“. Hier in Frankfurt sind es vorwiegend Männer mit schwarzem Aktenkoffer, manch einer aber kommt auch im Blaumann direkt nach Feierabend hierher. Das schmuddelige Ambiente im Hausflur hat offenbar eine gewisse Anziehungskraft.

Oben, in den kleinen Räumen der Prostituierten, sieht es hingegen anheimelnd aus. Auf dem Flur tanzt Diana nur aus Jux mit einem jungen Mann. Einer von den Jungs, die sich ihr Geld verdienen, indem sie kleine Dienste für die Prostituierten verrichten. Kaffeeholen beispielsweise. Nach Zwangsprostitution und brutaler Zuhälterei sieht das nicht aus. Catherine steht in knappen Dessous gelangweilt und nervös zugleich vor ihrem Zimmer, ist jedoch jederzeit in der Lage, ihre dunklen Augen in jenen glänzenden Zustand zu versetzen, der Männern eine garantiert heiße Nummer verspricht.

Sie hat keine Zeit, mit Kolleginnen zu quatschen, steht unter Druck, will keinen der unentschlossen vorbeiflanierenden Freier verpassen. Das kann sie sich nicht leisten. Es ist früh am Nachmittag. Die Tageszimmermiete von 260 Mark muss abgearbeitet werden.

Catherine macht es nie ohne Gummi: „Ich bin doch nicht blöd.“ Dumpingpreise? Nicht mit ihr: „Manche machen es schon für dreißig Mark. Bei mir läuft unter fünfzig Mark für eine Viertelstunde nichts.“ Mitunter seien Freier bereit, zweihundert Mark für eine Stunde zu zahlen – natürlich ohne. Doch Catherine gibt sich selbstbewusst: „Wenn ich ihm gefalle, kommt er wieder, und zwar mit Plastikanzug.“ Diana lässt den Hilfsjungen stehen und geht wieder dem Geschäft nach.

Der Wirtschafter, ein Angestellter des Bordellbetreibers – nennen wir ihn Peter F. –, weiß vor Verlegenheit nicht, wo er seine Hände lassen soll, als er erklärt, dass es „für die Mädels gute und schlechte Tage“ gebe. Eben auch solche, an denen so manches „Mädel“ abends, wenn es ans Kassieren für die Räume geht, einen kompletten Tagesverdienst hinblättern muss. Peter F. zuckt wie ein Beamter, der hier normalen Dienst versieht, die Schultern: Mietfestpreise, das sei wirklich ein „Missstand“. Juanita Rosina Henning, Redakteurin vom Hurenblatt La Muchacha („Die Frau“) spürt sofort: ein Thema, das die rund achthundert Prostituierten in den Frankfurter Bordellen interessieren wird.

Henning kennt die Frauen und ihre Geschichten. Sie ist Mitbegründerin des Vereins „Dona Carmen“, der sich als Vertretung dieser Frauen versteht. Sie sieht ihre Aufgabe vor allem darin, die illegalen Prostituierten zu betreuen. Sie weiß, dass Catherine aus der Dominikanischen Republik kommt, dass sie anschaffen geht, um ihre Familie aus dem Dasein im Slum zu befreien. Ihr ist auch bekannt, dass – wie Catherine sagt – „das horizontale Gewerbe für die meisten ein Job wie jeder andere ist, mal mehr Spaß bringt, mal weniger, und man abends eben hundemüde ist“.

Für „Rosina“, wie sie hier freundschaftlich genannt wird, lassen die Frauen schon mal eine Nummer sausen. Catherine grinst die Sozialarbeiterin an, bittet auf einen Schwatz herein, vertröstet den Freier, mit dem sie gerade über den Preis verhandelt, auf später. Es gibt Neuigkeiten: Das Haus für Catherines Familie ist finanziert. Und noch eine: Catherine will weiter jobben. „Irgendwie süchtig“ sei sie, manche Freier finde sie ja auch ganz nett.

Business as usual. Die üblichen Probleme, die üblichen kleinen Freuden. Doch der Schein trügt. Panik geht um. Polizeikontrollen und Razzien erschweren das Geschäft. Selbst Catherine, die mit einem deutschen Mann verheiratet ist und nicht befürchten muss, sich mit der Ausweisungsverfügung auf der Straße wiederzufinden, ist entnervt. Kolleginnen sei manchmal der Tagesverdienst beschlagnahmt worden. „Eine furchtbare Vorstellung, dass plötzlich grüne Uniformen mit Menschen darin vor der Tür stehen“, findet sie.

Henning ist gegen jede Razzia. Die „menschenverachtende Hatz“ auf Prostituierte müsse aufhören. Sie veranstaltet Pressekonferenzen und schreibt Briefe an den Leiter des städtischen Ordnungsamts, Rolf Menzer, die dieser als nicht „sehr freundlich, aber dennoch informativ“ beurteilt. Unter anderem ist darin die Rede von „Verhaftungen, mit Videofilmen aufgenommen“, von „Ganzkörperfotos der Frauen nur im Slip und BH“. Die von ihm „angeordnete Politik der Abschiebungen“ bezeichnet Henning als „Rambo-Stil“.

Weder für den Durchsuchungsbeschluss noch für die Durchführung erklärt sich Menzer zuständig. Dies sei Sache der Polizei. Er findet „verständlich“, wie der Verein reagiert. Einige Punkte seien nicht von der Hand zu weisen. Erstens: Für die Angebote des Stadtgesundheitsamtes seien die Prostituierten in der Tat besser erreichbar, wenn sie in Bordellen ihrer Tätigkeit nachgingen. Zweitens: Mit den polizeilichen Maßnahmen treffe man in der Tat die Frauen, „die den schwächsten Faktor in der Kette darstellen, hier aber gegen das Ausländergesetz verstoßen“.

Aber das Schreiben wäre besser an den Bundesgesetzgeber adressiert worden; denn „gibt es keinen Pass, gibt es auch keinen Ermessensspielraum“, befindet der Leiter des Frankfurter Ordnungsamts. Eine rege Streitkultur herrscht zwischen dem Verein und den im Zweifelsfall nicht zuständigen städtischen Stellen.

Verständnisvolle Worte – bürokratische Hürden: In den Bordellen ist die Stimmung auf dem Nullpunkt. Und es ist exakt so, wie Menzer vermutet. Die polizeilichen Aktionen treffen in erster Linie die Frauen. Verunsichert durch Kontrollen, blieben Freier aus, empört sich Diana. Patricia sendet wütende Blicke nach oben, der rosa Decke entgegen: „Wenn die Regierenden – wenn sie schon nichts für uns tun – uns wenigstens unseren Job in Ruhe machen lassen würden.“ Für die Legalisierung des Berufsstands spricht sich in La Muchacha ein Frankfurter Bordellbesitzer aus: „Man kann es anders organisieren – wenn es von staatlicher Seite gewollt ist.“ Dies brachte dem Blatt prompt den Rüffel eines Journalisten der Frankfurter Rundschau ein: Der Mann dürfe sich „ungestraft darüber ausweinen, wie übel ihm und seinesgleichen mitgespielt“ werde. Wenn eine Frau jedoch fürs Basisangebot fünfzig bis siebzig Mark erhalte, aber 250 Mark Tagesmiete zahlen müsse, könne man dies wohl Ausbeutung nennen. Auf derlei Journalistenschelte reagiert Henning gelassen: Ausbeutung gebe es keineswegs nur im horizontalen Gewerbe. Dennoch: ein Grund mehr, die Legalisierung voranzutreiben, damit sich die Gewerkschaften dieser Misere endlich bewusst würden und Tarife aushandelten.

Heutzutage zählt der Ärger mit Freiern und Bordellbetreibern wohl zu den geringsten Sorgen, die Prostituierte plagen. Laut Henning sind – anders als Aufsehen erregende Schlagzeilen suggerieren – weniger als fünf Prozent der Prostituierten von Frauenhandel oder Zwangsprostitution betroffen. Weil Ehemänner ihre Frauen schlagen, werde auch kein Gesetz erwogen, das die Institution der Ehe verbiete, frotzelt Henning frei nach dem Motto: „Wer unkonventionelle Ideen vertritt, sollte dies mit gebotener Schärfe tun.“

Jeder müsse frei entscheiden können, wie er seine Sexualität leben wolle. Das Problem sei doch, dass in unserem Kulturkreis Sex, unabhängig von emotionaler Bindung, tabu sei. Die Sperrgebietsverordnung dränge die Frauen völlig an den Rand, ist Hennings Meinung. Keine gesunde Mischung mehr wie einst, als die Hausfrau von nebenan sich beim Einkaufen noch bei den Huren erkundigte: „Na, wie läuft das Geschäft?“ Razzien finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Im Milieu ist inzwischen später Nachmittag, es herrscht reger Verkehr. Banker und Lehrer bevölkern die Flure. Man stelle sich vor, Polizisten stürmten das Bordell, besagte Herren fänden sich auf dem Polizeirevier wieder, müssten sich wegen Sittenwidrigkeit verantworten – aber nein, das passiere nicht, betont Henning. Fazit: Nur Männern sei erlaubt, sich auf diese Weise körperlich und geistig auszutauschen. Genau deshalb müsse diese konservative Sexualmoral gelockert werden. In La Muchacha lautete eine Schlagzeile: „Behandelt uns wie Menschen, nicht wie einen Hund“. Auch unser Frankfurter Bordellbetreiber Peter F. liest das Blatt – obwohl er sich über einige Themen „ziemlich aufgeregt“ hat.

Die Kolumbianerin Isodora hat keine Zeit zum Zeitunglesen. Dreizehn bis vierzehn Stunden Arbeit täglich, da lässt die Fähigkeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, nach. Erschöpft liegt sie auf ihrem Bett; an der Wand hängen ihre Berufsutensilien: Dessous, Latex-, Lederklamotten, Handschellen. Abschalten – das funktioniert nicht immer. Ob sie sich wünscht, dass der Beruf der Prostituierten legalisiert wird? Mit gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung, Steuern und allem Drum und Dran sowie der Möglichkeit, bei Zahlungsunwilligkeit des Freiers das Geld einzuklagen? Nein, Isodora ist nicht begeistert. Wäre ihr Job legalisiert, müsste sie sich ja outen! Wie der Teufel das Weihwasser fürchten die Frauen, gesellschaftliche Missachtung zu spüren zu bekommen. Dass es zukünftig Akzeptanz geben könnte, ist für Isodora unvorstellbar.

Ganz anders Henning: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“

GITTA DÜPERTHAL, 44, lebt als freie Journalistin in Frankfurt am Main