„Die Babyklappe sollte es nicht geben“

■ Für Psychologin Regula Bott ist Anonymität nur scheinbar eine einfache Lösung

Diplompsychologin Regula Bott ist bei der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle Hamburg beschäftigt und kämpft gegen Babyklappe und Anonyme Geburt.

taz hamburg: Was stört sie an der Babyklappe?

Regula Bott: Zunächst mal geht in dieser ganzen Diskussion etwas durcheinander, nämlich anonym – namenlos – und inkognito – unerkannt. Bei der jetzigen Inkognito-Adoption sind Name, Geburtsdatum der Mutter und weitere Angaben in der Adoptionsvermittlungsstelle hinterlegt. So können die Adoptierten irgendwann selber recherchieren, wenn sie es wollen. Bei der anonymen Geburt oder der Babyklappe aber gibt es diese Möglichkeit nicht.

Interessieren sich viele Adoptierte für ihre Wurzeln?

Oh ja, die Kollegen in den Vermittlungsstellen haben mehr mit Suchanfragen als mit Vermittlungen zu tun. Die Entwicklung – übrigens auf Druck der Adoptierten – geht hin zu mehr offenen Adoptionen, bei denen sich alle Beteiligten mindestens einmal getroffen haben.

Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit diesen offenen Adoptionen?

Bisher gut, es läuft meist für alle Beteiligten besser. Wir befürchten, dass Babyklappe und anonyme Geburt diese Entwicklung wieder zurückwerfen.

Was ist so schlimm daran, seine Herkunft nicht zu kennen?

Es geht um körperliche, soziale und emotionale Biographie und Ähnlichkeiten wie Unterschiede. Babyklappe oder anonyme Geburt sind der totale Bruch mit der eigenen Geschichte, ohne Möglichkeit, sie zu recherchieren.

Welche Rolle spielen dabei die Adoptiveltern?

Dass sie weggegeben worden sind, empfinden Adoptierte häufig als Ablehnung ihrer Person. Die Adoptiveltern möchten sie nicht auch noch verlieren. Das kann zu erheblichen Loyalitäts- und Identitätskonflikten führen.

Wann treten die Probleme auf?

Meist in der Pubertät. Die Jugendlichen fühlen sich als Kinder zweiter Wahl, denn etwa 95 Prozent der Adoptiveltern adoptieren ein Kind, weil sie kein eigenes bekommen können. Auch ihnen wird durch die Fragen des Kindes die als eigene Unzulänglichkeit empfundene Kinderlosigkeit immer wieder bewusst.

Wie drücken sich die Probleme aus?

Adoptierte berichten beispielweise von psychischen Probleme und besonderen Schwierigkeiten mit Beziehungen. Sie verlassen, bevor sie verlassen werden.

Soll man den Kindern sagen, dass sie adoptiert sind?

Wenn Adoptierte das Gefühl haben, auch von den Adoptiveltern belogen worden zu sein, ist das eine weitere Kränkung und Verletzung. Der Vertrauensverlust kann zur Ablehnung bis hin zum völligen Abbruch des Kontaktes führen. Lebenslügen helfen niemandem. Es gilt die Regel, Kinder bei ihren ersten Fragen aufzuklären, beispielsweise wenn das Kind wissen will, ob es auch in Mamas Bauch war. Da sollte man auf keinen Fall lügen.

Ist ein Leben ohne Geschichte aber nicht besser als gar keines?

Nach unseren Kenntnissen sind Mütter, die ihre Babys aussetzen in einer so isolierten Situation, dass das Angebot der Babyklappe sie nicht erreicht.

Aber seit es die Babyklappe gibt, wurde in Hamburg über ein Jahr lang kein Kind ausgesetzt, erst vor einigen Wochen passierte es wieder.

Auch das Kind, das in die Babyklappe gelegt wird, ist ein ausgesetztes, ein verlassenes Kind. Die Anzahl der Findelkinder ist seit Bestehen der Babyklappe gestiegen. Es sind bereits sieben Babys und das bestätigt die Sorge, dass Personen zur anonymen Abgabe animiert werden. Es muss ja übrigens gar nicht die Mutter gewesen sein.

Sie meinen, die Babyklappe wird von Menschen genutzt, deren Kinder sonst ein Leben ohne Herkunft erspart werden könnte?

Ja, es ist eine scheinbar einfache Lösung. Es gibt schließlich viele Adoptionsbewerber. Aber niemand kümmert sich darum, wie es Mutter und Kind später geht. Nicht ohne Grund geht die Entwicklung in eine andere Richtung.

Wie ist es eigentlich mit den Erfahrungen, die andere Länder mit dem Thema gemacht haben?

In Frankreich gibt es die anonyme Geburt. Unseres Wissens werden dort seitdem nicht weniger Kinder ausgesetzt. Außerdem wurde das Gesetz auf Druck der Adoptierten 1996 etwas entschärft. Die Mutter muss zwar ihren Namen nicht nennen, sollte aber einige Daten aus ihrer Lebensgeschichte hinterlassen.

Was fordern Sie?

Mehr und nicht weniger Beratungsangebote und auch mehr Aufklärung beispielsweise in den Schulen. Dazu gehört auch das Wissen, dass eine Adoption alle Beteiligte ein Leben lang beschattet. Und das ist besonders belastend, wenn es anonym ist.

Sie lehnen also Babyklappe und anonyme Geburt ab?

Ja, das sollte es nicht geben. Gefragt sind die gesunden Babys. Die Not der Mütter wird ausgegrenzt.

Fragen: Sandra Wilsdorf