Windelweiche Brechstange? Die Bremer Positionen zum neuen Teilzeitgesetz klaffen weit auseinander

■ Die SPD lud zur Debatte einer „sozialen Innovation“: Der neue Rechtsanspruch auf Teilzeit greift weit übers Arbeitsleben hinaus / Eine Prozesslawine sei nicht zu befürchten

Von Helmut Kohl hätte man es sich denken können, aber Gerhard Schröder? „Auch Bundeskanzler sind teilbar“ – so der Bremer Arbeits- und Sozialwissenschaftler Helmut Spitzley, der einer von der SPD initiierten Diskussion über Teilzeit die philosophische Note verlieh: „Jeder Arbeitsplatz ist das Ergebnis von Arbeitsteilung und damit auch wieder teilbar“. Ein Argument, das man sich auf der Zunge zergehen lassen muss, bevor man sich in die Niederungen des Für und Wieder des neuen Teilzeit-Gesetzes begibt.

Unter den fünf Teilnehmern der Podiumsdiskussion, die Anfang der Woche in der Bürgerschaft stattfand, war es erwartungsgemäß der Chef des Einzelhandelsverbandes Nordsee, Wolfgang Brakhane, der gegen das Gesetz für Teilzeitarbeit – seit 1. Januar in Kraft – Sturm lief. „Ich nenne das: Teilzeit mit der Brechstange“, so Brakhane über den neuerdings rechtlich verankerten Anspruch auf eine Reduzierung der Arbeitszeit. „Die Personaleinsatzpläne versinken im Chaos. Wie soll man planen, wenn man nicht weiß, ob der oder die Beschäftigte in einem halben Jahr auch noch bereit ist, am Samstag zu arbeiten“, wetterte der Interessensvertreter des Handels. Er stand mit seiner ablehnenden Haltung alleine.

„Was Sie als Brechstange bezeichnen, gilt andernorts als windelweich“, so Helmut Spitzley. Der Rechtsanspruch gilt erst bei Betrieben mit über 15 festangestellten Mitarbeitern. Arbeitnehmer und Chefs sollen einvernehmlich nach einer Lösung suchen. „Im Einzelfall“, so erläuterte ein Mitarbeiter des Bundesministeriums für Arbeit die Lage der Arbeitgeber, „kann der Wunsch nach Teilzeit aus betrieblichen Gründen abgelehnt werden“. Entsprechend interpretierte auch der Direktor des hiesigen Arbeitsamtes, Christian Hawel, den Gesetzestext: „Die gütliche Einigung mit dem Arbeitgeber ist ein ganz wesentliches Element.“ Hawel ist naturgemäß ein Fan der neuen Rechtslage. Zwar schwanken die Berechnungen – unterm Strich aber erhofft man sich vom Recht auf Teilzeit jede Menge neue Arbeitsplätze. Immerhin: 34 Prozent der jetzt beschäftigten Vollzeitler in Deutschland wünschen sich einen reduzierten Job. Dabei geht es in der Regel um fünf bis acht Wochenstunden weniger.

Für die Sorgen von Wolfgang Brakhane hatte Arbeitsamtschef Hawel nicht viel Verständnis. „Sie haben doch im Einzelhandel schon jetzt die meisten Teilzeit-Jobs, und trotzdem haben die Läden auch am Samstag geöffnet.“ Aber auch in die andere Richtung bremste Hawel: „Es entstehen sicherlich nicht in jedem Teilzeitbetrieb neue Arbeitsplätze – erstmal ist das auch ein schleichender Prozess der Arbeitsverdichtung.“ Hawel muss es wissen: Das eifrig genutzte Angebot des Arbeitsamtes an seine Mitarbeiter, die Arbeitszeit um zehn Prozent zu reduzieren, hat dort zu keiner Neueinstellung geführt.

„Freiere Mitarbeiter sind motiviertere Mitarbeiter“, pries auch die Gastgeberin der Diskussion, Helga Ziegert, SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Kreisvorsitzende des DGB, die neue Gesetzeslage. Anders gesagt: Die Mitarbeiter schaffen die gleiche Arbeit in weniger Zeit. Nach Helmut Spitzley ist das aber nur einer von vielen Pluspunkten. „Es ist in gesundheitspolitischer Hinsicht, familien- und geschlechterpolitisch, nicht zuletzt demokratiepolitisch eine soziale Innovation.“

Dass die Beschäftigten mit dem neuen Gesetz im Rücken reihenweise vor die Arbeitsgerichte ziehen, wie Brakhane annimmt, glaubt er nicht. „Das entspricht nicht dem Geist des Gesetzes – das deutsche Arbeitsrecht ist auf Konsens angelegt.“ Beispiele für den sozialpartnerschaftlichen Umgang mit der neuen Rechtslage kamen prompt aus dem Publikum. Ein Gewoba-Betriebsrat berichtete von Gesprächen mit der Geschäftsleitung, um eine für alle geltende Regelung auszuhandeln. Eine Betriebsvereinbarung also, die dem Recht des Einzelnen Grenzen setzt. „Beschäftigte haben selber oft sehr gute Ideen, wie das zu organisieren ist“, wusste auch Helga Ziegert, und soviel gab auch Brakhane zu: „Der Einzelhandel ist in einer schweren Phase. Da sind die Zeiten vorbei, in denen sich Betriebsrat und Geschäftsführung mit runtergeklapptem Visier begegnen.“ hey