Zwischen Heilung und Tod

Anna Aslan war letztes Jahr als Krankenschwester für „Ärzte ohne Grenzen“ im Sudan und hat bei einem Hilfsprojekt gegen die an der West- und Ostküste Afrikas weitverbreitete Schlafkrankheit gearbeitet. Die 40-jährige Aslan schildert ihren Einsatz

O-Ton Krankenschwester Aslan:

„Es gibt zwei Phasen der Krankheit. In der ersten sind die Erreger nur im Blut. Wenn man sie feststellt und sieben Tage lang intramuskulär spritzt, ist man geheilt. Das war auch für mich eine Beruhigung. Selbst wenn ich mich angesteckt hätte, ich wusste, man hätte es heilen können. Das zweite Stadium ist viel schlimmer. Da haben die Erreger dann das Gehirn erreicht. Es reagiert nicht mehr richtig, am Ende steht der Tod.

Man kann versuchen, auch diesen Patienten noch zu helfen. Das Risiko ist allerdings groß – es gibt 5 bis 10 Prozent Todesfälle. Wer das Mittel nicht verträgt, bekommt epileptische Anfälle, Krämpfe, Lähmungen, verfällt ins Koma. Das ist dann ein ganz grausames Sterben. Es ist wissenschaftlich nicht geklärt, was genau passiert.

Das Medikament, das man spritzt, heißt Arsobal. Das ist ein altes, arsenhaltiges Mittel mit vielen Nebenwirkungen. Es ist extrem agressiv, man muss Glasspritzen nehmen, Plastikspitzen würden das gar nicht aushalten. Es war nicht leicht, die Glasspritzen immer wieder zu sterilisieren – wir hatten nur einen Holzkohleofen dafür. Das Teufelszeug muss intravenös gespritzt werden. In Deutschland dürfen das Krankenschwestern zum Teil nur mit besonderer Erlaubnis des Arztes. Im Sudan haben es die einheimischen Pflegehelfer gemacht. Sie wurden schnell zu Profis, da sie es unentwegt tun mussten.

Es war wichtig, dass wir sie im Team mit dabeihatten, denn als es die ersten Todesfälle gab, hieß es bei den Bewohnern: Geht nicht ins Krankenhaus, dort werden unsere Leute umgebracht. Das Problem bei den Arsobal-Spritzen ist, sie können vielen Patienten helfen, richten aber auch manche zugrunde. Wer mit Stadium zwei bei uns ankam, wurde zehn Tage lang gespritzt. Bei denen, die es nicht vertragen haben, muss man davon ausgehen, dass sie ohne uns vielleicht noch ein, zwei glückliche Jahre gehabt hätten. Aber man weiß vorher nicht, wer wie auf Arsobal reagiert. Für die einen bringt die Spritze Heilung, für die anderen den Tod. In dem Fall lagen die Leute da, mit Lungenödem, blutigem Schaum vor dem Mund und röchelten schwer. Bei uns hätte man Morphium gegeben oder sie künstlich beatmet. Das ging dort nicht.

Die Erfahrung „Tod“ an sich hat mich nicht schockiert, aber die Art und Weise schon. Ich habe meine Mutter zu Hause gepflegt und war dabei, als sie starb. Auch in der Notaufnahme in meiner Berliner Klinik habe ich mit Toten zu tun gehabt.Das Neue für mich im Sudan war, dass Dritte-Welt-Programme einen anderen Ansatz haben als wir hier in Europa: Da gilt der Grundsatz, möglichst viele zu behandeln, dafür im Einzelfall auf intensive Therapien zu verzichten. Dieses nüchterne Prinzip, letztlich nur den Aussichtsreichsten zu helfen, hat mir sehr zu schaffen gemacht. Bei bei uns wird jedem geholfen, solange Aussicht auf Linderung besteht. Ich denke, das ist die große Ungerechtigkeit dieser Welt.

Wir hatten aber auch Erfolgserlebnisse. Es gibt ein Mittel, das viel verträglicher ist als Arsobal, es heißt DFMO. Es gibt davon nur noch Restbestände, das Medikament wird nicht mehr produziert. Der Hersteller hat Preise verlangt, die in Entwicklungsländern niemand bezahlen kann. Wir hatten Packungen für etwa 100 Patienten dabei. Es gab die Festlegung, dass DFMO nur eingesetzt wird, wenn jemand schon mal mit Arsobal behandelt wurde und einen Rückfall bekommen hat.

Wir haben durchgesetzt, dass ausnahmsweise auch ein zehnjähriger Junge diese Therapie bekam. Er traf völlig unterernährt bei uns ein, konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Hunger ist in der Gegend eigentlich kein Problem, aber die Krankheit hatte ihn schon stark mitgenommen. Er hat nach nur zwei Injektionen Arsobal mit Krämpfen reagiert, Koma, war danach halbseitig gelähmt.

Keiner von uns wollte die Therapie fortsetzen. Da haben wir mit Genf, mit der Zentrale von „Ärzte ohne Grenzen“, gesprochen. Es gab eine Funkleitung übers Radio. Wir haben uns die Genehmigung geholt, den Jungen mit DFMO zu behandeln. Es hat hervorragend geholfen. Es dauerte nicht lange, da konnte er sich allein hinsetzen, er nahm zu, aß den ganzen Tag Erdnüsse, lachte und war auf einmal wirklich wie neu geboren. Am Ende konnte er sein eigenes Gepäck nach Hause tragen.

Die bittere Wahrheit dieser Geschichte ist: Wenn man ihm hilft, stirbt ein anderer. Es ist tragisch, dass das bessere Medikament nicht mehr hergestellt wird, man könnte damit das Problem viel besser in den Griff kriegen.“ AUFGEZEICHNET VON

MANUELA THIEME

Infos: www.acessmed-msf.org