zehn jahre senatsbaudirektor
: Der Spalter

Hans Stimmann – eine Bilanz

Es begann mit einer Warnung. Vor zehn Jahren ereilte die damalige grüne Baupolitikerin Elisabeth Ziemer ein Schreiben aus Lübeck. „Wenn die Freude über Stimmanns Kommen in Berlin so groß ist wie die Freude in Lübeck über seinen Abgang“, hieß es darin, „dann ist allen gedient.“

Kurz zuvor war der Lübecker Baustadtrat Hans Stimmann vom Berliner Bausenator Wolfgang Nagel ins neu geschaffene Amt eines Berliner Senatsbaudirektors geholt worden. Dass eine seiner ersten Amtshandlungen darin bestand, sich alsbald als einen der „mächtigsten Männer“ der neuen Hauptstadt zu bezeichnen – der unbekannte Verfasser des Briefes wird es geahnt haben.

Wer heute, zehn Jahre nach dieser Inthronisation, durch die Friedrichstadt läuft, die neuen Hackeschen Höfe den alten zum Verwechseln ähnlich findet, sich wundert, warum am Bahnhof Friedrichstraße eine der letzten innerstädtischen Grünflächen zugebaut wurde oder Aldo Rossis Architekturzauber an der Schützenstraße in Euro-Disney vermutet hätte, der hat es mit Hans Stimmann zu tun. Mächtig oder nicht, hat es der streitbare Polterkopf vermocht, sich im Berliner Stadtbild zu verewigen. Und im dazugehörigen Wortschatz: Traufhöhe, Blockrandbebauung, Parzelle oder europäische Stadt sind mittlerweile Begriffe, mit denen jeder Hinterbänkler jongliert. War die Warnung also unberechtigt?

International renommierte Architekten wie Rem Kolhaas, Zaha Hadid oder Daniel Libeskind haben die Frage schon früh mit einem entschiedenen „Nein!“ beantwortet. Für sie war die „kritische Rekonstruktion“, mit der Hans Stimmann seine quadratisch-praktisch-guten Bauklötze über die Stadt verteilte, nichts anderes als die bieder-provinzielle Antwort auf die Herausforderungen einer neuen Zeit. Selbst Hans Kollhoff, später ein williger Vollstrecker des Stimmann’schen Diktats einer auf die preußische Strenge beschränkten Architektur, hatte im Januar 1990 für den Potsdamer Platz einen Hochhauscluster entworfen – ganz in der Tradition der Nachkriegswettbewerbe aus den 50er-Jahren, in denen Ost- und Westberlin mit großer Geste um die planerische Vorherrschaft gestritten hatten.

Es war der Hochhausgegner Hans Stimmann, dem es gelang, die Investoren von der „kritischen Rekonstruktion“ zu überzeugen und sich der Gefolgschaft einiger Architekten zu versichern, die die größten Stücke des Baukuchens unter sich aufteilten. Und es war Hans Stimmann, der es vermochte, Berlin weit über die Grenzen des vereinten Deutschlands hinaus bekannt zu machen. Sein Diktum einer preußischen Architektur ließ die New York Times bereits wieder marschierende Knobelbecher in der deutschen Hauptstadt sehen. Und der Altlinke Peter Neitzke formulierte im Centrum-Jahrbuch aus der sicheren Entfernung seiner Schweizer Wahlheimat den Vorwurf einer faschistoiden Architektur. Berlin wurde, Stimmann sei dank, tatsächlich zur Hauptstadt der Architekturdebatte. Hauptstadt der Architektur wurde es damit noch lange nicht.

Damit hätte eigentlich die Ära Hans Stimmann bereits zu Ende gehen könen. Als 1995, vier Jahre nach seinem Amtsantritt, das Ressort des Senatsbaudirektors an die CDU-Politikerin Barbara Jakubeit fiel, waren die wichtigsten Entscheidungen gefallen. Der Potsdamer Platz war im Bau, die Friedrichstadt fertig, das Regierungsviertel im kommen und der Wettbewerb zum Alexanderplatz zumindest entschieden. Für eine Gedenktafel in fernen Zeiten hätte das allemal gereicht.

Für Hans Stimmann war das zu wenig. Er wollte den großen Wurf, und da kam ihm das Amt eines Staatssekretärs für Stadtentwicklung gerade recht. Kaum ein Jahr später legte Stimmann im November 1996 mit dem Planwerk Innenstadt einen Bilderplan vor, der seitdem die Stadtentwicklungsgdiskussion der Hauptstadt bestimmt. Nicht mehr und nicht weniger als Ost und West verbinden, sollte der Plan, das historische Zentrum wieder aufleben lassen, mit dem Primat der Innen- vor der Außenentwicklung den entscheidenden Schritt in eine nachhaltige Stadtentwicklung einleiten. In Wirklichkeit aber ist das Planwerk Innenstadt, 1999 vom Senat verabschiedet, nichts anderes als der Versuch einer Ausdehnung der „kritischen Rekonstruktion“ bis hin zum Alexanderplatz.

Mit einem entscheidenden Unterschied freilich. Anders als noch vor zehn Jahren steht heute nicht die Hardware, der gebaute Raum der Stadt, im Vordergrund, sondern der soziale Raum, die Software. Die soziale Spaltung nimmt zu, und Stimmann, mittlerweile wieder Senatsbaudirektor, darf munter polarisieren, während andere noch immer Integration sagen müssen.

So gesehen war es kein Ausrutscher, als Stimmann vor geraumer Zeit den Abriss des Schöneberger Sozialpalasts forderte. Seine Begründung: „Das versaut die Stadt, das ist ein sozialer Brennpunkt.“ Deutlicher könnte das Programm nicht sein: Entsorgen statt helfen, ignorieren statt hinschauen, stigmatisieren statt integrieren. Hans Stimmann spaltet nicht nur ästhetisch, sondern auch sozial, und das Planwerk Innenstadt ist sein Instrument, auf dem er gut und gerne spielt. Während ein Stadtviertel nach dem andern „auf der Kippe steht“, soll es wenigstens in der Mitte ruhig zugehen, Schlossattrappe und „gute Stube“ am Pariser Platz inbegriffen.

Zumindest damit hatten die Lübecker mit ihrer Warnung Unrecht. „Allen“ ist mit Hans Stimmann nicht gedient. Aber dafür ist er wohl auch nicht geholt worden.