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: HELMUT HÖGE über Sterblichkeit

Die Wunschproduktion

Das wünschen sich natürlich alle hoffnungsfrohen Azubis: Werd Friseurin, du hast doch gerne mit Menschen zu tun! Werde Kfz-Mechaniker, du stehst doch so auf Autos! Die Wirklichkeit enttäuscht inzwischen jedoch selbst realistische Studienabbrecher, die auf Gärtner oder Tischler umsteigen. Und sogar Kollektive, die einen linken Buchladen, eine Zeitung, einen Verlag oder einen Bioladen eröffnen – sie scheitern meistens am Erfolg, genauer – an der Dauer: So hatten sie sich das nicht vorgestellt, dass sie fortan ihr ganzes Leben hinterm Tresen oder am Computer oder in stumpfsinnigen Monokulturen verbringen sollen!

In der DDR sprach man poetisch von den „Mühen der Ebene“, die aus euphorischen Wunschproduktionen grauen Alltag machten. Das funktioniert immer auf dieselbe Weise: Ein paar Leute organisieren z. B. tolle Veranstaltungen und ärgern sich dabei stets über den fremden Veranstaltungsort. Also bemühen sie sich um einen eigenen. Sie bekommen ein Jugend- oder Kulturzentrum in Selbstverwaltung – und für Momente ist eine Utopie Wirklichkeit. Dann dreht sich aber alles um: Die Scheißimmobilie (sic!) muss täglich bespielt werden. Also ist man ständig mit Veranstaltungsplanung beschäftigt – und irgendwann wird es egal, was dort stattfindet: Hauptsache, das Ding läuft einigermaßen. Genauso bei einer Zeitung – hier gibt es die ständige Redewendung: „Mensch, wegdrucken den Scheiß, lass uns nicht lange über den Text nachdenken, es ist 14 Uhr durch!“

Meine Freundin Cornelia Köster, eine Russischübersetzerin und mein Freund Peter Engstler, der einen kleinen Verlag in einem Rhöndorf betreibt und dort auch einen Buchladen hat – sie meinen beide, dass das Problem bei der Wunschproduktion die Ökonomie ist, d. h., um sich Erstere zu erhalten, muss man Letztere abkoppeln. Sie verdient ihr Geld als Anwaltsgehilfin, er mit der Betreuung behinderter Kinder. Ihre Text-Wunschproduktionen sind also quasi frei von wirtschaftlichen Erwägungen, sie müssen dementsprechend keine Kompromisse machen – können sich ihrer Arbeit stets mit Leidenschaft widmen.

Zur Widerlegung dieser These fiel mir Robert Kurz ein, der marxistische Studien betreibt und sein Geld in einer Druckerei verdiente. Irgendwann wurden seine Texte so begehrt, dass er nicht mehr nachkam und außerdem ständig zu Diskussionen unterwegs war – leichten Herzens gab er seinen Job auf, er verdiente auch so genug. Seine Texte wurden deswegen nicht weniger leidenschaftlich.

Ich glaube, dass Problem liegt in der Dauer – zumindest bei politisch oder künstlerisch Tätigen: Sie stretchen allzu leicht ihre kleinen Ideen auf Lebenslänge, wobei sich eine Identität als Autor/Künstler herausschält. So muss z. B. der arme Uecker nun sein Leben lang Plastiken nageln, eine Weile ließ er sie in einer Landkommune fertigen. In Berlin, das vor allem Leute anzog, die zwar im Rechnen eine Fünf, aber im Malen eine Eins hatten, wimmelt es von solch traurigen Existenzen. Im Grunde gehören auch Fischer und Cohn-Bendit dazu: Sie stretchen ihr ehemals leidenschaftliches Basis-Engagement durch alle staatlichen Instanzen. Das Scheitern liegt auch hier in der Dauer, am Erfolg. Für die Wunschproduktion gilt immer noch die alte Partisanen-Weisheit: Wenn der Aufstand ausbleibt, werden die Illegalen zu Terroristen bzw. kriminellen Banden, landen jedenfalls im Knast, und wenn der Aufstand siegreich ist, werden sie Offiziere, Träger der (neuen) Staatsmacht. Der Partisan ist eine vorübergehende, in Zeit und Raum flüchtige Erscheinung – so oder so.

Und genauso ist es mit der Wunschproduktion. Zumal wenn es nicht (mehr) darum geht, Frau und Kinder, Eigenheim und Rente etc. sich zu erhalten, sondern nur darum, die eigene und die allgemeine Sinnlosigkeit zu bekämpfen. Wenn man sich hierbei jedoch auf eine oder mehrere eigene Ideen verlässt, muss man auf Dauer scheitern. Nicht ohne Grund betonen alle Bankrotteure, dass ihre Immer-Wieder-Neuanfänge „von null an“ ihnen am wichtigsten waren. Anders ausgedrückt: Bei anhaltendem Geschäftserfolg versauert man bloß.

Für jede revolutionär sein wollende Tätigkeit ist so etwas tödlich. Die Formel von Sir Popper und George Soros „The open society and its enemies“ ist zwar ganz prima, aber das Problem bleibt: Wie wird man immer wieder zum „enemy“? Ich erinnere nur an den Ausschluss eines Mitglieds der Situationistischen Internationale – mit der Begründung: „Ihm war das Missgeschick passiert, alt geworden zu sein, bevor er dreißig wurde.“ Das war gegen die immer wiederkehrende Tendenz gesagt, aus anschwellenden Unruhen eine Existenzvorsorge für sich zu machen – gegen das Wunschmarketing also. Im unsterblichen „taz-Projekt“ hat sich diese Abteilung übrigens zur derzeit kreativsten im ganzen „Haus“ gemausert.