Polen zahlt für Opfer

Wegen der Verzögerungen will polnische Stiftung älteste Zwangsarbeiter im Alleingang entschädigen. Skepsis bei anderen Opferorganisationen

BERLIN taz ■ Die Stiftung „Deutsch-Polnische Aussöhnung“ will früheren NS-Zwangsarbeitern aus eigenen Mitteln eine Anzahlung für die geplante Entschädigung aus Deutschland leisten. Dies sei notwendig, weil das Urteil der US-Richterin Shirley Kram den Entschädigungsprozess weiter verzögere. Diese will die letzte Sammelklage gegen Banken erst abweisen, wenn die Wirtschaft ihr Geld überwiesen hat. Ab Montag will die polnische Stiftung zunächst 40.000 Opfern über 80 Jahre rund 750 Mark zahlen.

Das Kuratorium der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ habe einer Verrechnung mit den späteren Entschädigungsleistungen zugestimmt, bestätigte Stiftungssprecher Kai Hennig. Voraussetzung sei aber, dass die Opfer nach dem Gesetz anspruchsberechtigt sind. Zudem müssten die Empfänger zustimmen. „Das muss die polnische Seite klären.“

Andere Partnerorganisationen, die das Geld vor Ort verteilen, reagierten zurückhaltend auf den polnischen Vorstoß. „Eine vorzeitige Auszahlung kommt für uns nicht in Frage“, sagte der Geschäftsführer des „Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds“, Tomas Kafka, der taz. Die Gelder aus früheren deutschen Zahlungen, die der Fonds verwalte, seien für soziale und partnerschaftliche Projekte bestimmt. „Wir wollen keine Vermengung der Mittel“, sagt Kafka. Für ihn sei die im Juli getroffene Entschädigungsregelung weiterhin Arbeitsgrundlage. Eine Abkopplung der Zwangsarbeiter-Entschädigung von der Bankenfrage sei vorstellbar. Voraussetzung für eine Änderung des Stiftungsgesetzes sei ein „gemeinsamer Wille“. „Alleingänge“ lehnte Kafka ab. „Wir verlangen, dass die Stiftung das Geld zahlt, und wollen uns nicht in die Rolle von Bittstellern drängen lassen.“

Karl Brozik, Repräsentant der „Claims Conference“ in Deutschland, begrüßte den polnischen Vorstoß. Seine Organisation, zuständig für die Verteilung der Gelder an jüdische Opfer, werde dem Beispiel aber nicht folgen. Dies sei technisch unmöglich, da die Claims Conference noch kein Geld erhalten habe. In Polen stelle sich die Situation anders dar. „Das Geld stammt aus Restbeständen der Zuweisungen, die die Bundesrepublik in den 90er-Jahren überwiesen hat.“

Bundesregierung und Vertreter der Fraktionen versuchen, die Wirtschaft zur Zahlung zu bewegen. Kanzler Gerhard Schröder will noch in diesem Monat mit der Stiftungsinitiative zusammentreffen. Grünen-Politiker Volker Beck hatte gestern in der taz eine Abgabe für die Firmen angeregt. Zunächst könne der Bund die Gesamtsumme zahlen. Der Regierungsbeauftragte Otto Graf Lambsdorff lehnte dies ab. Er forderte eine rasche Korrektur des Richterspruchs. Die Zahlungen könnten dann „noch vor der Sommerpause“ beginnen.

In einem offenen Brief warfen mehrere Abgeordnete, darunter Andrea Nahles (SPD) und Christian Simmert (Grüne), der Stiftungsinitiative eine „konsequente Provokationskampagne“ vor. Sie habe immer neue Hürden aufgebaut. „Es liegt nun an Ihnen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.“ NICOLE MASCHLER