Kein düster waberndes Geraune

Zweidimensionale Skulpturen und gezeichnete Töne: Grafiken Eduardo Chillidas in Wedel  ■ Von Hajo Schiff

Bei aller Härte schwingende Formen überlagern sich, durchdringen sich und greifen in imaginäre Räume aus. Geprägt, geschnitten oder in schwarzer China-Tinte manifestiert, gehorchen sie der Geometrie, doch ohne jemals exakt rechtwinklig oder kreisförmig zu sein. Manche der Papierarbeiten wirken wie Collagen, sind aber Gravitationen: Bei dieser von Eduardo Chillida im Jahr 1987 erfundenen Methode, mehr Dreidimensionalität zu gewinnen, werden Blätter lose übereinander gelegt und hängen im Bild. Bei dem geringen Gewicht von Papier schiene der Verweis auf die Schwerkraft etwas übertrieben, hätten die schlichten Kontrastformen nicht selbst eine gewichtige Anmutung – und wäre der Künstler nicht einer der bedeutendsten lebenden Bildhauer Europas.

Eduardo Chillida wurde 1924 in San Sebastián geboren und lebt im spanischen Baskenland. Von der Ausbildung her Architekt, begann er 1948 in Paris seine erfolgreiche Karriere als Bildhauer. Und da seiner Meinung nach auch ein Stück Eisen vor allem eine Idee ist, können bei Chillida schon Papierarbeiten einen guten Einblick in die Formwelt des Künstlers geben. Über ein Drittel seines gesamten graphischen Werks wird jetzt in den Barlach Museen von Wedel und Ratzeburg gezeigt, eine Premiere für Norddeutschland.

Es ist verblüffend, welch intensiv skulpturale Ausstrahlung schon kleine Prägedrucke haben und mit wie wenig zeichnerischem Aufwand sich in diesen Werken imaginäre Räume öffnen lassen. Chillidas gesamtes Werk ist gegenstandslos, mit einer Ausnahme: Skizzen von Händen, meist denen des baskischen Harfenisten Nicanor Zabaleta. Sie sind eine Hommage an die Hervorbringung von Musik, diejenige Kunstform, deren lautlose Variante nach Chillida die Skulptur darstellt.

„Ich bin kein abstrakter Künstler, ich bin ein realistischer Künstler – aber ich habe die äußere Erscheinung zurückgewiesen“, sagt Chillida. In der Tat öffnet das mittelmeerisch robuste Werk Wege in die Spiritualität. Auch wenn der Künstler dem Mystizismus gegenüber sehr aufgeschlossen ist, seine Werke verzichten auf düsteres Geraune. Das nicht messbare Mehr hinter den starken Formen entfaltet sich über klar gesetzte und kaum vermittelte Kontraste.

Chillidas Formenwelt zeigt nichts unmittelbar Wiedererkennbares. Und doch hat sie eine seltsam vertraute Präsenz. Vielleicht sind die Eingriffe von Weiß in Schwarz, von Schwarz in Weiß archaische Erinnerungen an Beziehungen von Gut und Böse. Vielleicht sind die labyrinthischen Bilder von Gängen und Brücken, von Fenstern und Furchen, von Kammern und Rundräumen aber auch architektonisch zu lesen, als Grundrisse längst vergessener vorzeitlicher Tempel: mit der Zeit dachlos geworden und mit nur wenigen Schlagschatten steinern unter blendender Sonne in halber Höhe über dem Horizont des gleißenden Meeres gelegen.

Wie wohl jeder Bildhauer ist Eduardo Chillida auch vom alten Ägypten fasziniert. Dessen Jahrtausende überdauernde Erhabenheit massiver Plastizität passt zu der schon im Detail monumentalen Kunst des Basken. Eine beeindru-ckende und zugleich offene Formensprache aber läßt sich auch gut in einen Denkmalskontext politisieren: Da werden Steinwände zu Verteidigungsanlagen des Baskentums, und die beiden zueinander greifenden Großformen vor dem Berliner Bundeskanzleramt sollen gar die Einigung Deutschlands symbolisieren.

Chillidas Skulpturen sind starke Zeichen im Raum. Seine Graphiken sind Plastiken im Zweidimensionalen. Wenn mitunter monumentale Eisenskulpturen eine zu schwere Besetzung von Orten scheinen – in der Graphik ist zu lernen und zu genießen, wie jemand souverän das Spiel beherrscht, neue Zeichen zu setzen. Von Mys-tik bis Politik kann sie dann jeder für sich mit Bedeutung auffüllen.

Eduardo Chillida – Die lautlose Musik (Arbeiten aus vier Jahrzehnten), Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1; Di - Sa 10 - 12 + 15 - 18, So 10 - 18 Uhr; noch bis 13. Mai. Lange Chillida-Nacht mit Vorträgen, Konzerten und Lesungen: 24. März, 20 Uhr. (Ein Teil der Ausstellung, die „Hommage an Johann Sebastian Bach“, wird gezeigt im Ernst Barlach Museum Ratzeburg, Barlachplatz 3, Di -So 10 - 13 + 14 - 17 Uhr)