Blähung für Brigitte

■ Der „Tote Salon“ wurde im Schlachthof mit Walter Kempowski zum Leben erweckt

Wir riefen laut (in einer ellenlangen Vorankündigung), und es gingen auch viele hin, aber kaum taz-Leser, sondern eher die Altersklasse „Tadellöser und Wolff“-Fans. Und die sind eher bildungsgesättigt als lachlustig. Dabei hätte es viel zu Kieksen gegeben, als am Freitag die erste „Filiale“ des Hamburger Toten Salons im Schlachthof feierlich eröffnet wurde. Und zwar mit der Drohung „Es ist keine Gesprächsrunde“, die dann auch wahr gemacht wurde.

Wie bei einer anständigen Podiumsdiskussion nahmen die Herren Kempowski, Wieland, Henschel neben Beck's (konkret-Wieland mit Schiebermütze) und edlem Rotwein (titanic-Henschel im bürgerlichen Tarnlook) Platz. Doch sie spielten Autisten. Sie mieden jeden Blickkontakt und rezitierten bis zu einer halben Stunde lang aus ihren Büchern.

Ein innerer Zusammenhalt war dennoch zu bemerken. Denn mit demselben Gestus, mit dem Kempowski in Tadellöser oder in „Echolot“ tief in deutsche Befindlichkeit abtaucht und kunstreich O-Töne kombiniert, erinnert Gerhard Henschel „an einen anderen vergessenen Autor: meinen Vater.“ Dann zitiert er unerbittlich aus dem Briefwechsel seines Vaters mit dessen Versicherung, Aktenzeichen 208704897. Und wenn der wackere Mann die „Repräsentanz der Versicherung im Meppener Raum“ als „deutlich mangelhaft“ anmahnt, ja, geradezu geißelt, dann scheint sich hier die große deutsche Tragödie von Kleists Michael Kohlhaas zu widerholen.

Walter Kempowski hingegen las aus seinem kunstvoll bearbeiteten Tagebuch. Es heißt „Alkom“ (oder so ähnlich), was der Name eines unsichtbaren Sterns im Zeichen des Himmelswagens sein soll und auf sein Gespür für ephemere, bisweilen auch mal sinnfreie Beobachungen hinweist. „Und ich weiß nicht, was Alkom heißt.“ In guter alter Uwe-Johnson-Manier schneidet er Privates und Öffentliches quer, und lässt die BILD-Zeitung von Steffi Grafs Geldangelegenheiten erzählen und das Neue Deutschland von den Finanzkrisen der Kombinate.

Während zwei Fotografen wie blöd vor Kempowski herumhüpfen, liest dieser einen Text über seinen Ekel gegenüber Fotografen. Denn die erzählen immer nur, dass sie „natürlich nur mit Blitz“ arbeiten bzw. „natürlich nur ohne Blitz“. Mehrmals fällt der Name Thomas Mann, der bekanntlich in seinen Tagebüchern halb selbstverliebt halb larmoyant jede Blähung verzeichnete. Und dann wehleidelt Kempowski, seine eigene Eitelkeit verspottend. Kein Schwein wolle seine Bücher lesen, etwa die wunderbare O-Töne des Bomberpiloten Ray. Wenn aber dann ein Volkshochschulkurs oder gar eine Brigitte-Redakteurin bei ihm aufkreuzen, dann sitzt er da „innig auf Blähungen wartend“. Und weil er auch von seiner Haft in Bautzen erzählte, liest der gemeine Rayk Wieland einige „Gedichte“ Bilanzzahlenprosa von Erich Honnecker. bk