Ein Kick reicht nicht

Heute erhält das Gewaltpräventionsprojekt „Kick“ eine Spende von der „Sport for Good“-Stiftungvon DaimlerChrysler und dem Luxushersteller Richemont. Die Zukunft sieht dennoch düster aus

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Es geht um den Kick. Den Kick, den sich Jugendliche beim Klauen, Graffitisprühen oder Prügeln holen. Jugendliche, die nirgendwo sonst auf ihre Kosten kommen. Weil das Elternhaus zerrüttet ist, sie keine Perspektiven sehen und keine Beschäftigung haben. So lag es nahe, ein Projekt , das mit einer Mischung aus Sport und begleitender Sozialarbeit Jugendliche vor dem Abdriften in die Kriminalität bewahren will, „Kick“ zu nennen. Das war vor zehn Jahren in Berlin.

Seitdem ist aus dem Modell-Präventionsprojekt, das von dem ehemaligen Berliner Kriminalhauptkommissar Achim Lazai ins Leben gerufen wurde, längst ein Vorzeigeprojekt mit Standorten in Berlin, Brandenburg und Thüringen geworden. Nachdem Achim Lazai in den Jahren bis zur Realisierung von Pontius zu Pilatus laufen musste, um für seine Idee Gehör und Geld zu finden, lassen es sich mittlerweile weder Polizeipräsidenten noch Innensenatoren nehmen, an Neueröffnungen persönlich teilzunehmen und Lazai anerkennend auf die Schulter zu klopfen.

Der Ruf von „Kick“ eilte bis nach London, wo die von DaimlerChrysler und dem Schweizer Luxushersteller Richemont gegründete Stiftung „Sport for Good“ ihren Sitz hat. Mit einem Startkapital von einer Million Dollar werden weltweit Sportprojekte unterstützt: Beispielsweise Mitternacht-Basketball in den USA gegen Jugendkriminalität oder Sportveranstaltungen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland zum Abbau von Barrieren unter Jugendlichen.

Dieses Jahr nun sollte ein Projekt in Deutschland in den Genuss einer Spende kommen. Wegen der beispielhaften Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sozialarbeitern bekam Kick den Zuschlag für seine Arbeit. In Anwesenheit von Spitzensportlern wie Edwin Moses, dem Vorsitzenden der Stiftung, Daley Thompson und Nadia Comaneci wird dem Regierenden Bürgermeister von Berlin eine Spende in Höhe von 100.000 Dollar überreicht werden.

Mit dem Geld will die Sportjugend Berlin, die Kick neben weiteren Jugendprojekten als Träger betreut, einen „Ropes Cours“ errichten. Dabei handelt es sich um einen Hochseilklettergarten, eine Einrichtung, die aus der Erlebnis- und Abenteuerpädagogik und dem Managementtraining kommt. Jugendliche sollen beim Hangeln an Stahlseilen und beim Klettern über schwankende Holzteile ihre Grenzen spielerisch überwinden und Teamgeist lernen.

Achim Lazai freut sich über die Spende. „Ich finde das ganz toll und bedanke mich bei den Sponsoren“, sagt er. Doch weil er ein Mann ist, der in großen Zügen denkt und der den zunehmenden Rechtsextremismus mit großer Sorge zur Kenntnis nimmt, beschleicht ihn zugleich Unbehagen. Der Grund: Die Zukunft vieler Kick-Standorte ist ungewiss. Erst kürzlich musste aus Geldmangel einer der zehn Standorte in Berlin geschlossen werden. „Die brechen alle zusammen, denn alles läuft auf Sparflamme“, warnt Lazai. „Es ist unbestritten eine gezielt gute Präventionsarbeit, deshalb wundert es mich, dass so was nicht entsprechend gefördert wird.“

„Stinksauer“ ist Thomas Martens, der bei der Sportjugend Berlin für Kick zuständig ist. Auf die Landespolitik. „Seit Jahren wird das verschleppt“, schimpft er. Es sei „sehr problematisch“, dass die jährlichen Bewilligungen „immer wieder in Frage gestellt werden“. Für die Verlängerung der Jahresverträge müsse immer wieder gekämpft werden. „Dabei wollen wir uns doch auf den Kampf um die Jugendlichen konzentrieren“, gibt er zu bedenken. Als Martens im September vergangenen Jahres auf einem vorolympischen sportwissenschaftlichem Kongress in Australien Kick vorstellte, wusste er nicht, ob es im Folgejahr noch existieren würde.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Innensenator und der Schulsenator in der Hauptstadt hinter den Kulissen um die Zuständigkeit für das Projekt rangeln. Der Grund: Seit Beginn ist Kick bei der Senatsverwaltung für Inneres angesiedelt. Doch als das mit Lottomitteln finanzierte Sonderprogramm „Jugend mit Zukunft“, über das Kick finanziert wurde, im vergangenen Jahr auslief, hat die Schulsenatsverwaltung die Mittel im Haushalt eingeplant. Deshalb erhebt die Behörde nun Anspruch auf die Zuständigkeit.

Dabei macht die Ansiedlung bei der Polizei Sinn. Denn diese vermittelt straffällig gewordene oder gefährdete Jugendliche an Kick-Standorte. Außerdem gibt es eine rege Zusammenarbeit mit den Jugendlichen in Form von Tauchkursen mit der Spezialtaucheinheit der Polizei oder Fußballturnieren, bei denen Berührungsängste zwischen Jugendlichen und Polizisten abgebaut werden. Leidtragende sind die Mitarbeiter des Projekts. Weil unklar ist, durch welche Verwaltung die Auszahlung der Gelder erfolgt, ist bisher für Januar und Februar kein Geld für die Projektarbeit geflossen, die die Sportjugend vorfinanziert.

Bei den drei Kick-Standorten im Land Brandenburg sieht es noch düsterer aus. Daran ändert auch nichts, dass Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) vor einiger Zeit erklärte, dass Kick in Brandenburg bei der Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität „eine wichtige Rolle spielen soll“. In dem erst im Oktober vergangenen Jahres gegründeten Kick-Standort in Rathenow lief kürzlich die vom Arbeitsamt finanzierte Stelle aus. Zum Glück für die Jugendlichen arbeitet der Mitarbeiter, ein ehemaliger Fußballer, ehrenamtlich weiter in der Stadt, die in den vergangenen Jahren durch Übergriffe rechter Schläger auf Asylbewerber wiederholt in die Schlagzeilen geraten war.

„Der Mann, der das ehrenamtlich weitermacht, ist eine Perle“, so Gründungsvater Lazai. Doch dürfe man es nicht beim Engagement eines Einzelnen belassen. „Dort boomt die rechte Szene“, weiß Lazai, der sich die Projekte regelmäßig vor Ort anschaut. „Bei der Eröffnung waren nur Glatzen“, erzählt er, „aber das waren Kinder.“ Deshalb müsse es gerade an solchen Orten eine besonders starke Prävention geben.

Auch an dem seit zwei Jahren bestehenden Standort in Eberswalde könnte bald Schluss sein. Zum Jahresende läuft die Finanzierung durch das Sportministerium aus.

Wie nötig jedoch die Fortführung von „Kick“ gerade in Brandenburg ist, zeigt ein Beispiel aus Cottbus. Dort wurde mithilfe des Präventionsprojektes erreicht, dass Jugendliche aus einem rechten und einem linken Jugendclub mittlerweile zusammen Fußball spielen. „Das ist ein Highlight“, schwärmt Wolfgang Berger von der Sportjugend Brandenburg. „Da erfüllt das Projekt voll seine Aufgabe.“

Doch auch in Cottbus laufen die zwei ABM-Stellen zum Jahresende aus - da hilft es wenig, dass das Polizeipräsidium „Kick“ eine Zeit lang zur „Chefsache“ erklärt hatte. „Für die Betroffene bricht eine Welt zusammen“, klagt Berger. Dabei sind die Kosten im Vergleich zum „Gewinn“ Peanuts. Nach Angaben von Berger reichen etwa 80.000 Mark jährlich für Personal- und Sachkosten eines Standortes.

Achim Lazai, ohne dessen Engagement es „Kick“ nicht geben würde, wird deutlicher: „Die rechte Saat ist gelegt und sie wird wunderbar aufgehen.“ Deshalb sei es „unverantwortlich“, wie mit „Kick“ umgegangen werde. Prävention müsse „flächendeckend“ betrieben werden. Spenden reichten dafür nicht aus. Natürlich sei es zu begrüßen, wenn ein Autohersteller Computer spendet. Aber: „Wenn die politische Unterstützung ausbleibt, können in bestimmten Gegenden irgendwann keine Autos mehr gebaut werden.“ Wenn Minister oder Staatssekretäre zur Eröffnung eines neuen „Kick“-Standortes kommen und verkünden, dass sie hinter dem Projekt stehen und dann aber nichts weiter passiert, sei das nichts weiter als „Marionettentheater“. Gründe zur Sicherung und zum Ausbau von Projekten wie „Kick“ muss Lazai nicht viele nennen. Einer reicht schon: „Wer nicht gewaltbereit ist, eignet sich nicht für die rechte Szene.“