Gelassenheit von Fundi bis Realo

Parteitag fordert Rückkehr zum alten Asylrecht und beschließt ab 2002 Trennung von Ministeramt und Bundestagsmandat. Ist das nun ein linkes Signal? Da winken alle ab: „Das wird die Realität schon richten“

STUTTGART ■ taz Den allermeisten Journalisten war die Kleinigkeit entgangen, als am Freitagabend eine deutlich verringerte Delegiertenschaar in der Stuttgarter Messehalle einen Antrag zur Einwanderungspolitik verabschiedete. Am nächsten Morgen herrschte Konfusion. In den Beschluss war mit knapper Mehrheit ein Änderungsantrag eingeflossen, in dem die Bundestagsfraktion aufgefordert wird, sich im Parlament für die Wiederherstellung des früheren Grundrechts auf Asyl einzusetzen.

Der Samstag sollte noch eine andere Überraschung für die ansonsten routinierte Parteitagsregie bringen. Christian Ströbele brachte mit knapper Mehrheit einen Aufruf durch, der die grünen Minister auffordert, ab 2002 nach der Übernahme eines Regierungamts ihr Mandat als Bundestagsabgeordnete niederzulegen. Und: Unabhängig davon sollten die Grünen mit anderen Parteien eine entsprechende allgemein gültige Regelung erarbeiten. Joschka Fischer versuchte das Votum mit der Gelassenheit desjenigen zu nehmen, der sich an die Kapriolen seiner Kinder gewöhnt hat und auf die Kraft der Zeit setzt. „Die Realität wird es schon richten“, sagte er, und das Faltenspiel seiner Stirn verriet, was er er von dem Beschluss hielt: nichts. Statt aber seine Partei zu düpieren, die sich gerade drei Tage der Harmonie verordnet hatte, sagte Fischer: „Besser jetzt ein solcher Beschluss als später im Wahlprogramm.“

Ströbele selbst war nach seinem kleinen Sieg die Genugutuung eher an den strahlenden Augen anzusehen als an dem, was er sagte. Laute Bekundungen der Freude mied er. Wenn es nochmals zu einer Debatte komme, sehe er der „mit Gelassenheit entgegen, denn die Partei hat es nicht so gerne, dass man ihr kurze Zeit später erklärt, dass sie da mal wieder einen Fehler gemacht hat“. Er wolle die Entscheidung zur Trennung von Amt und Mandat „gar nicht dramatisieren, zumal ja auch der Vorstand mit der Auswahl seiner Redner gezeigt hat, das er es nicht will“.

In der Tat hatte der Vorstand niemand von der Führungsriege ans Pult geschickt, der von einem Zwang zur Mandatsniederlegung betrofffen wären. Die überraschende Entscheidung der Delegierten gehöre eben zur grünen Parteitagslogik, sagte Klaus Müller, Minister in Schleswig-Holstein, der gegen die Vorlage plädiert hatte. Es sei schon merkwürdig, dass die Partei Renate Künast als neue Landwirtschaftsministerin feiere, ihr andererseits aber die Chance nehmen wolle, in der kommenden Legislaturperiode ein Mandat wahrzunehmen. Selbst ausgewiesene Linke wie die Hamburger Landeschefin Antje Radcke waren mit dem Beschluss nicht glücklich. „Ich wünsche mir, dass die Partei jetzt nicht stehen bleibt, sondern diese Frage weiterdiskutiert.“ Mancher fürchtet, dass die Partei mit einem Mandatsverzicht ihren Ministern eine zu schwere Bürde auflastet. Radcke nannte das Beispiel Andrea Fischer. Hätte die Regelung zum Zeitpunkt ihres Rücktritts als Gesundheitsministerin gegolten, wäre sie „in ein schwarzes Loch gefallen“ und nicht in die Bundestagsfraktion zurückgekehrt. SEVERIN WEILAND