Liegestütze gegen Gewalt

Fahin Yusufzai trainiert Jugendliche, damit sie keine „Scheiße bauen“  ■ Von Elke Spanner

Der Tritt misslingt. „Fuck you“ rutscht dem Dreizehnjährigen raus, als Fahin Yusufzai zur Kritik anhebt. Die Strafe folgt auf dem Fuße. „Zehn Liegestütze“, ordnet Yusufzai an und weist mit dem Zeigefinger auf die Stelle am Boden, an der er die Übung sehen will. Ohne zu murren beugt der Junge sich herab und beginnt.

In der Schule, erzählt der 15-jährige Michael, hat er auf seine Lehrerin nie gehört. Ermahnungen, schlechte Noten – „pfft“. Logisch, dass er immer dazwischengeredet hat. Yusufzai ist zwar noch strenger als so manche Lehrerin, aber auch „total anders“. Seit Michael vor fünf Monaten bei ihm mit Taekwondo begonnen hat, spricht er sogar davon, dass es „wichtig ist, Disziplin zu lernen“. Und Yusufzai hat ihm auch eingebleut, dass er gefälligst seinen Schulabschluss machen soll. Was bringt es ihm, arbeitslos zu sein, hat er ihn gefragt. Und ein polizeiliches Führungszeugnis zu haben, mit dem sich das auch niemals ändern werde. Jetzt hat er Bewerbungen für eine Lehrstelle losgeschickt, denn Yusufzai, sagt Michael, „hat Recht“.

Fast jeden Tag kommt Michael zum Training zu ihm. Fünf Mal die Woche, zwei Mal Taekwondo in Farmsen, sonst Boxen in Jenfeld. Michael zahlt nichts dafür, und Yusufzai verdient auch kein Geld durch das Training, das er fast täglich gibt. Er hat den Verein „Sport gegen Gewalt“ gegründet und trainiert ehrenamtlich mit inzwischen rund 120 Kids, „damit die keinen Scheiß bauen“.

Angefangen hat Yusufzai 1993. Damals war er noch Sicherheitsleiter im Einkaufszentrum Jenfeld. Täglich schnappte er Jugendliche beim Klauen, Autos knacken, Leute ärgern. Sie flogen raus, bekamen ein Hausverbot, und am nächsten Tag waren sie wieder im EKZ. Sie der Polizei zu übergeben, habe auch nichts genützt, sagt Yusufzai. Deshalb beschloss der ausgebildete Taekwondo-Trainer irgendwann, die Jungs lieber „körperlich und geistig fit zu machen“. Und dafür zu sorgen, dass sie ausgepowert sind und auf „Scheiße bauen“ schlicht keine Lust mehr haben. Fortan stellte er die Jungs vor die Wahl, die er beim Klauen erwischte: Entweder Du kommst aufs Polizeirevier oder in mein Kampfsporttraining. Was für viele anfangs eine Strafe ist, wird irgendwann zur liebsten Freizeitbeschäftigung.

Adam kommt zwei Mal die Woche, seit vier Jahren bereits. Auch er ist damals nur zum Training gegangen, damit seine Akte bei der Polizei „nicht noch dicker wird“. Irgendwann hat er sich dann selbst eingestanden, dass der Sport ihm Spaß bereitet. Seit mindestens drei Jahren, erzählt der 18-Jährige, hat er auch „nichts mehr gemacht, ehrlich“. Allein schon, weil ihm die Zeit dafür fehlt. Und weil Yusufzai ihm gesagt hat, dass er eines Tages auf der Straße landet wenn er so weitermacht, mit Diebstählen „und so“. Und Yusufzai ist nicht nur sein Trainer. Ihn ruft er an, wenn er Prob-leme hat. Yusufzai, sagt Adam respektvoll, „ist auch ein Freund“.

Heute steht Taekwondo in Neu-Allermöhe auf dem Programm. Eine halbe Stunde dauert das Training bereits. Der Schweiß rinnt, und erst jetzt geht es mit den ersten Kampfbewegungen los: Schattenboxen. Rund 25 Jungs kämpfen gegen einen imaginären Feind. Dann werden Tritte trainiert. „Mit Kampfschrei“, fordert Yusufzai. Einer ruft „Ejo“, ehe das Kommando gekommen ist. Zehn Liegestütze lautet die Strafe.

Früher, gesteht der 16-jährige Dennis, hatte er „überhaupt keinen Respekt vor anderen, vor alten Leuten und so“. Kam ihm jemand dumm, hat er „mit schlimmen Wörtern“ reagiert. Jetzt muss er sich vor seinem Gegner verbeugen, ehe er mit ihm Schläge und Tritte übt. Und rutscht ihm eine Beleidigung heraus, muss er dafür mit Liegestützen oder Klappmessern bezahlen. Denn zum Kampfsport gehören Fairness und Respekt vor dem Gegner dazu. Das betont Yusufzai immer wieder. Und der hat einen durchtrainierten Körper. Er wirkt kumpelhaft und trägt einen schwarzen Gurt um den Bauch. Bei ihm hören sich selbst Worte wie „Res-pekt“ und „Disziplin“ gar nicht uncool an. Außerdem kennt er echte Prominente. Boxweltmeister Da-riusz Michalczewski ist Mitglied im Verein „Sport gegen Gewalt“, ebenso die Klitschko-Brüder. Yusufzai, bestätigen Dennis und Michael, ist ihr Vorbild.

Stephan gibt Langeweile als Grund dafür an, warum er schon als Elfjähriger „Scheiße bauen“ ging. Ob er schon Kontakt zur Polizei hatte? Der Dreizehnjährige lacht auf. Klar hatte er das. Michael, sein Freund, war schon „auf jeder Bullenwache“, erzählt er nicht ohne Stolz. Er selbst war drei Mal in Heimen für schwer erziehbare Jugendliche untergebracht. Etliche PädagogInnen sind bei dem Versuch gescheitert, den Jungen davon abzubringen, mit „Kollegen“ um die Ecken zu ziehen und Dinger zu drehen. Jetzt beteuert Stephan, damit aufgehört zu haben. Es klingt wie auswendig gelernt, wenn ein Dreizehnjähriger davon spricht, dass er diszipliniert werden muss. Mit genau den Worten, die sonst von Menschen einer anderen Generation zu vernehmen sind. Aber eben auch von Yusufzai. Und der trägt einen schwarzen Gurt um den Bauch.

Kontakt: Fahin Yusufzai, Telefon 0173/486 85 11 und im Internet unter: www.sportgegengewalt.de