Erfolg ist verdächtig

„abgehängt“: In ihrer neuen Erzählung singt Birgit Vanderbeke das Hohelied der Kunst und fichtden Kampf der Begabten gegen das dumpfe Establishment aus. Ein Jazzmusiker muss dafür sterben

von ANGELIKA OHLAND

Birgit Vanderbeke war das Debütantinnenwunder des Jahres 1990. Seither schwimmt sie in den einigermaßen sicheren Fahrwassern einer soliden Schriftstellerexistenz. Ihre neue Erzählung dreht sich ausgerechnet um einen solchen Erfolg. Aber davon später.

Denn zunächst einmal steht im Zentrum von „abgehängt“, so heißt die Erzählung, ein ganz normaler Telefonanruf. Normal deshalb, weil ja jede Frau schon einmal von irgendeinem fremden Kerl, der anonym „du Sau“ in den Hörer sagt, belästigt worden ist. Es ist Vanderbekes Spezialität, von solchen Alltagserfahrungen ausgehend ihre Leser und besonders wohl Leserinnen an die Hand zu nehmen in der Absicht, das Normale zu verfremden und es dadurch sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck schenkt sie ihren Protagonistinnen einen grenzenlos naiven, geradezu kindlichen Blick, den sie durch den Einsatz radikal umgangssprachlicher Monologe beglaubigt. Diesem Muster folgt auch „abgehängt“: In einem das Einverständnis des Lesers voraussetzenden Küchenplauderton erzählt eine Schriftstellerin über ihr Leben mit der halbwüchsigen Tochter und dem Jazzmusiker Serge, über ihren Ärger mit Meyer-Bromberger, der wohl gleichzeitig ihr Lektor und Agent ist, und von ihrer Trauer über den Tod des Freundes und Jazzmusikers Eddie.

Aber nicht Vanderbekes Angewohnheit, ihre Leser – im übertragenen Sinn – mit der ersten Zeile bereits zu duzen, ist das Problem. Schwer erträglich sind die Schlampereien im Literarischen, die Eindimensionalität der Gedanken und die dürftigen Bilder, die das Hohelied der Kunst singen wollen und das Triviale denunzieren, obwohl sie selber trivial sind. Schon die Verunsicherung der Protagonistin durch die anonymen Anrufe ist unglaubhaft: Tatsächlich gewinnt jene gutherzige Frau, die „wegen der Nazis“ kein Buch ins Altpapier tragen kann, im Laufe der Erzählung an Selbstgewissheit sogar hinzu.

Diese Selbstgewissheit, die in Selbstgerechtigkeit umschlägt, ist penetrant und ermüdend, zumal Vanderbeke insgesamt wenig Mühe auf ihre Figuren verwendet. Von Tochter Simmy erfahren wir, dass sie Harry Potter liest und dabei Nutella isst, von ihrer Mutter, dass sie Tattoos doof findet und ein trauriges Buch geschrieben hat. Im Übrigen zieht die Protagonistin es vor, durch andere zu sprechen: Serge und Eddie müssen sagen, was ihr selbst auf der Zunge liegt. Der Geigenspieler Eddie, der die Kompromisse des Marktes verachtete und daran krepierte, ist überhaupt das eigentliche Thema dieser Erzählung, in welcher der Kampf der Begabten und Aufrechten gegen das korrupte und dumpfe Establishment noch einmal ausgefochten wird. Und so hat Eddie in dem nur an Prozenten interessierten Meyer-Bromberger seinen ideellen Gegenspieler gefunden: der Verlagshai und das Genie, das Geld und die Kunst, das falsche Leben und das wahre – ach je, ach je.

Der Erfolgsautorin Vanderbeke ist nichts so verdächtig wie der Erfolg. Und so kann es für die Figur der Schriftstellerin in „abgehängt“ auch nur ein „Missverständnis“ sein, dass ihre Bücher sich so gut verkaufen. Man möchte davonlaufen vor solcher Schlichtheit der Gedanken, die nur geschlossene Systeme kennt. Vor allem, weil man weiß, dass Vanderbeke auch anders kann – in der bösen Erzählung „Das Muschelessen“, für die sie den Klagenfurter Bachmann-Preis erhielt; und 1997 im leichtfüßigen Roman „Alberta empfängt einen Liebhaber“.

Doch „abgehängt“ macht einen sprachlos. Wie konnte Vanderbeke sich in einer so gnadenlos sentimentalen Bildsprache verrennen? Allein der Titel: „abgehängt“ ist nämlich der Himmel, der zu Eddies Zeiten voller Geigen war – und abgehängt werden natürlich alle, die sich dem Massengeschmack verweigern. Oder soll man dieses Buch als Milieustudie der alternden 70er-Jahre-Aussteigergeneration lesen? Und Birgit Vanderbeke als Rosamunde Pilcher einer schon verschwunden geglaubten Alternativkultur feiern?

Birgit Vanderbeke: „abgehängt“. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2001. 128 Seiten, 34 DM