Tod aus Versehen

■ Das Festival „Tanz Bremen“ endete im Schauspielhaus mit vielen Erschossenen und ebenso vielen Wiederauferstehungen

Am Stückende ist Silvester, hinten, auf der Videoleinwand. Und fünf Tänzer gehen in geschlossener Reihe mitten hinein in die explodierenden Knallkörper, bis sie im Himmel zu verschwinden scheinen. Das russisch-deutsche „Theatre Do/fabrik“ hat ein ausgesprochenes Gespür für die Magie einfacher Szenen. Die vier Herren mit Damenbegleitung tragen Melone zur Abdeckung der kahlen (zum Teil merkwürdig geformten) Kopfgebirge, so als seien sie aus Bildern Magrittes oder Oelzes herausgepurzelt. Das riecht schwer nach Pantomime. Doch die Atmosphäre ist weit entfernt von deren clownesken, melancholischen, poetischen Getuehaftigkeit. Schon der Anfang geht zu Herzen. An einer Kleiderablage baumeln Mantelwesen deren große Hände fragend in die Welt hinaustasten: Tanz scheint hier mal nicht nach typisch menschlichen Gefühlslagen zu suchen, sondern nach irgendetwas jenseits davon. Zu einem schlurfigen Frauengesang schleppt sich ein heillos verwachsenes, kopfloses Geschöpf durch den Raum. Es hält einen blauen Luftballon in der Hand. Meist aber tragen die Figuren eine andere schwergewichtige Metapher mit sich herum, die man schon von manchen Susanne-Linke-Produktionen kennt, nämlich einen Koffer. Wunderbar ambivalent erzählt er von Heimatlosigkeit, aber auch von Freiheit. Und manchmal kann man sich darauf sogar ausruhen. Passend dazu zeigen gräulich getönte Videoeinspielungen ein verlassenes Industriegebäude und Gleise. Einmal scheint ein Zug über das Publikum hinwegzurollen und zwar so, dass man versteht, dass bei einer der ersten Filmvorführungen Ende des 19. Jahrhunderts die Zuschauer ängstlich aufgesprungen sind bei den Bildern eines einfahrenden Zuges.

Obwohl die Tänzer gar nicht mal so groß sind, wird sehr oft hoch aufragende Schlaksigkeit inszeniert. Warum tanzt eigentlich nicht Karl Valentin mit? Mimik spielt eine bedeutsame Rolle. Und oft ist sie staunend, als wolle man den Existenzialisten zustimmen, dass der Mensch in eine fremdartige Welt geworfen ist. Besonders lustig grimassiert wird in einer Szene, wo man halb amüsiert, halb verschreckt russisches Roulette spielt. Dabei lernt man: Tod ist nichts als ein saudummes Versehen. Am schönsten aber ist, dass das schwarz eingekleidete Grundgefühl gegen Ende umkippt. Die verschrobenen Gestalten tragen plötzlich Weiß und tanzen zu angeschrägter folkloristischer Musik.

Bei dieser, wie auch bei fast allen anderen Produktionen, konnten die Bremer etwas Neues, Unbekanntes erleben – so wie es sich für ein Festival gehört. Unglaublich viel ist geschehen seit den Tagen des klassischen Tanztheaters von Hoffmann, Bausch, Laokoon. Und bemerkenswert (und bedenkenswert) ist, dass dabei Multikulti sich als echte Bereicherung erweist. Jedes Ensemble kultiviert ganz eigene Bewegungsformen, sodass es schwer vorstellbar wäre, einen Tänzer von Akram Khan oder Déjà Donne in eine Produktion von Do/fabrik zu implantieren.

Die FestivalmacherInnen Birgit Freitag, Susanne Schlicher und Honne Dohrmann sind sehr happy. Denn bis auf zwei Veranstaltungen war alles ausverkauft. Und weil das Kursangebot für Kinder und Jugendliche so über Gebühr gut lief, ist man auch zuversichtlich, dass die Liebe zum Tanztheater hier nicht ausstirbt. bk