Wiederbelebung einer alten Dame

■ Komponist Martin Smolka stellte sich im RB-Sendesaal in Wort und Ton vor

„Lieder ohne Worte und Passacaglia“ (1999) hieß das zuerst gespielte Stück für Oboe, Fagott, Horn, Viola und Kontrabass von Martin Smolka. Der 1959 geborene tschechische Komponist war jetzt Gast beim Bremer Podium. Der Dirigent Hermann Beyer dreht sich nach einigen Takten zum Publikum: „Vergiss nicht: keine Worte“. Etwas später: „Lieder ohne Worte“. Etwas später: „Nicht ein einziges Wort“. Und: „Nein!“, „Pst!“. Solcherart Selbstironie, ja Distanz zum eigenen Tun kennzeichnet das Werk von Smolka, von dem jetzt vier Stücke aufgeführt wurden. Seine Musik ist eigentlich Musik über Musik, was sich auch deutlich in seinen verbalen Kommentaren zeigt: Musik geschrieben zum Trotz gegen die „Kunstfurzerei“ und den „abgehobenen Anspruch der zeitgenössischen Musik“.

Und irgendwie scheint er unter dem Weg der Moderne auch zu leiden, wenn er über seine „Lieder ohne Worte“ sagt, sie seien „Tränen über die Vergeblichkeit des Zurück-Blickens, leichte Seufzer über eine hässlich gewordene ehemalige Schönheit, die Dame Musik“. Auf der Suche nach einer Musik, „die so einfach und verständlich ist, dass sich jeder mit ihr vertraut fühlt, die aber gleichzeitig total merkwürdig und bislang ungehört ist“, zieht uns Smolka in seine stilistisch reichhaltige, auch aus Volksmusik inspirierte Klangwelt, die einerseits wie ein großes Patchwork wirkt, andererseits genau deswegen eine ganz authentische Kraft ausstrahlt.

So rhythmisiert er im vierten Satz von „Lieder ohne Worte“ tiefe, geheimnisvolle Klangflächen, so instrumentiert er für den zweiten Satz einfach eine Fuge von Jan Zach aus dem frühen 18. Jahrhundert, dann zerkracht er in der Passacaglia das Anfangsmaterial einer Oboemelodie auf klaren Rhythmen derart, als ob man Möbel auseinander haut und sie dann irgendwie auf skurrile Weise wieder aufstellt.

Und aus diesem Umgang mit Material, auch solches, was er selbst erfunden hat, speist sich sein skurriler Stil. So gibt es in „Autumn Thoughts“ für Piccolo, Bassflöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Klavier und Perkussion einen witzig lärmenden „Hoquetus“, jene mittelalterliche Technik, mit der eine Melodie über verschiedene Instrumente wie ein „Schluckauf“ verteilt wird. Beantwortet wird dieser Teil von einer fantastischen Klangfarblichkeit.

Oder im „Nocturne“ für Violine, Klarinette, Klavier, Vibraphon, E-Gitarre, Gambe und Harfe beginnt Smolka mit einem jämmerlichen Violin-Versuch, als habe einer zum ersten Mal das Instrument in der Hand. Es sei das letzte Stücke seiner „melancholischen Periode“, sagt der Komponist. Vorsichtig wird im zweiten Satz vom Ensemble darauf geantwortet, und für den dritten Satz entsteht als Zeichen des Aufbruchs eine genuin wundersame Atmosphäre.

Überzeugend ist ein streng dramaturgischer Verlauf dieses Stückes, den das nächste sofort wieder verlässt: Für „Eufonium“ für Ensemble bezeichnet Smolka „Inhalt als Unsinn“, „Form als Bärentanz und Fliegenchoral“ und „musikalische Form als Schälen einer Zwiebel“. Eine verhohnepiepelte Blasmusik macht sich ebenso breit wie die Selbstironie des Schreibens in der Anweisung für die Instrumenalisten: „Seid so nett und klingt wie ungeübte Amateure“.

So nett war das treffliche Ensemble KONTRASTE, dem es insgesamt im gut besuchten Sendesaal hervorragend gelang, ein Porträt dieses urigen Komponisten zu zeichnen, der auf eine Weise Ironie, Distanz und Kreativität miteinander verbindet, die durchaus neugierig macht auf Weiteres.

Ute Schalz-Laurenze