geschichten, die ich eben schrieb. VIII: schach dem oli bär von JOACHIM FRISCH
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Braucht die Welt Schachcafés? Schachspieler? Grübler? Lichtscheue, einsame Hänger mit postrevolutionären Märtyrermienen, die seit den Zeiten des Mescalero-Briefes auf neue Hosen und neue Frisuren pfeifen? Die Welt braucht sie so wenig wie aufgeregte Dispute über 24 Jahre alte Pamphlete spätpubertärer Wichtigtuer. Die Aufmerksamkeit vernunftbegabter Menschen sollte beides nicht erregen. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle eine klammheimliche Freude über einen Vorfall in einem Schachcafé nicht verhehlen – auch wenn spitzfindige Leser mir deshalb die Vernunftbegabung absprechen werden. Es begann mit einer verführerischen Stimme: „Schach spielen entspannt den Körper und pflegt den Geist“, wisperte sie in meine Ohrmuschel. Statt „Schnauze, Stimme, ich brauche keine Geistespflege“, zu antworten, folgte ich ihr und verabredete mich mit Oli Bär im Schachcafé.

Arschkalt war’s, weil der Wirt erst am späten Nachmittag aus den Federn gekrochen war, um den Ölofen anzuheizen. Die Schachbretter, Sofas und Teppiche können noch Anekdoten aus Zeiten Bobby Fischers erzählen, an Kontakte mit Staubsaugern oder Putzlappen dürften sie sich hingegen nicht mehr erinnern. In Paaren, wenn ihr vitales Streben sich auf 64 Felder bündelt, sind Schachspieler genießbar, fast sympathisch in ihrer stoischen Negation jeglicher Veränderung der Außenwelt. Doch wehe, einer ist allein! Dann treibt ihn eine quälende innere Unruhe um, ein Brennen in der Seele. Rastlos schlurft er von Tisch zu Tisch, starrt auf die Bretter, krault das Kinn und verzieht vor Schmerz das Gesicht – jedenfalls nach meinen Zügen.

Ausgerechnet an unserem Tisch lässt er sich nieder. Konzentration ist nun nicht mehr möglich, geschweige denn Entspannung. Ich sollte die Stimme erwürgen oder den Schachkiebitz. Skatkiebitze darf man ja in barschem Ton zur Ordnung rufen, der Schachkiebitz aber agiert im Schutze der Atmosphäre tiefer Konzentration, um diese zu zerstören. Schon wenn meine Führhand sich einem meiner Bauern nähert, treibt es mir den Schweiß in den Nacken. Gleich wird der Kiebitz den sterbenden Schwan mimen ob meines lächerlichen Dilettantismus, denke ich dann, die Hand zuckt zurück, und ich starre mit leerem Blick auf das Brett. Nur eine Strategie geht mir durch den Kopf: Wie kann ich den Kiebitz schlagen? Vernichtend schlagen? Seinem Psychoterror ein Ende machen?

Es muss etwas passieren. Die Kavallerie? Die GSG 9? Plötzlich Lärm, entsetzlicher Lärm. Es poltert, es kracht, rumpelt und pumpelt. Kalk rieselt von der Decke. Ein Erdbeben? Ist es aber nicht, wir sind ja in Hamburg. Es sind die Männer von der Soko Kiebitz. Binnen eines Wimpernschlags sind Oli Bär und ich allein, der Kiebitz ist in Handschellen und Zwangsjacke, seine verzweifelten, erstickten Rufe „Dame d2! Dame d2!“ werden leiser und verstummen. Ich ziehe die Dame auf d2, Oli Bär gibt auf, ich bin entspannt wie lange nicht.

Eine schöne Geschichte, schade nur, dass sie nicht wahr ist. In Wahrheit war Dame d2 ein vollkommener Scheißzug, und Oli Bär hat gewonnen.