Vom Prozess zum Pflegeskandal

■ Ehemalige Kolleginnen beschuldigen Altenpfleger der Misshandlung – und die Heimleitung, ihn gedeckt zu haben

Mit Naivität kann die Leitung des Butenhagen-Pflegeheimes in Osdorf nicht länger ihre Untätigkeit erklären. Vor dem Altonaer Amtsgericht widerlegte gestern eine Zeugin die Behauptung von Leiterin Editha Zeiner, erst im Sommer 2000 von den Misshandlungsvorwürfen gegen den Altenpfleger Michael R. erfahren und nicht gehandelt zu haben, weil sie die Anschuldigungen für „undenkbar“ hielt. Jene Zeugin, eine ehemalige Mitarbeiterin, berichtete nämlich, zwischen 1999 und 2000 Zeiner von dem „brutalen“ Umgang von Michael R. mit alten Frauen berichtet zu haben – und mit der Antwort fortgeschickt worden zu sein: „Ach, macht er das schon wieder? Ich spreche mit ihm.“ Nun wird sich die Heimleiterin vor Gericht zu dem Verdacht äußern müssen, ihren Mitarbeiter schlicht gedeckt zu haben.

Der soll die 90-jährige Helene N. im August 1999 aus dem Rollstuhl gezerrt und so brutal aufs Bett geschleudert haben, dass sie mit dem Rücken gegen eine Wand schlug und sich verletzte. Der unbeweglichen Else D. soll er die verkrümmten Gelenke durchgedrückt und dadurch Schmerzen zugefügt haben.

Durch die Aussage jener Zeugin und einer weiteren ehemaligen Angstellten wandelt sich der Fall immer mehr vom Strafprozess gegen einen einzelnen Angeklagten zu einem Pflegeskandal. Denn die beiden prangerten nicht nur das Verhalten von Michael R. an, sondern auch das von Heim- und Pflegeleitung. Zwei weitere KollegInnen hätten ebenfalls Misshandlungen beobachtet und sich nicht getraut, etwas zu sagen. Ein Kollege habe Angst vor Repressalien geäußert. Eine Altenpflegerin habe resigniert gesagt, dass es ohnehin nichts bringen würde, die Pflegeleitung zu informieren: „Die deckt den schon seit Jahren.“

Heimleiterin Zeiner hatte auf einer am Mittwoch eigens einberufenen Pressekonferenz behauptet, die Anschuldigungen für unvorstellbar gehalten zu haben – und das auch immer noch zu tun. Immer mehr macht sich indes der Eindruck breit, dass sie ihren Mitarbeiter und damit auch den Ruf des Hauses in Schutz nehmen will. Denn gestern bekräftigten auch rund 20 KollegInnen und BewohnerInnen des Hauses in einer Unterschriftenliste, die Anschuldigungen für undenkbar zu halten. Pikanterweise stehen aber darauf auch der Hausmeister, Küchenhilfen sowie BewohnerInnen, die im Heim in eigenen Wohnungen leben – und die Pflege, die Michael R. leistet, gar nicht beurteilen können. Und: Die Liste wurde offenbar nicht von den KollegInnen, sondern von der Heimleitung initiiert. Elke Spanner