Willi Lemke: „Abitur nach 12 Jahren wird flächendeckend kommen“

■ Bildungssenator über die schlechten Anmeldezahlen für die Schulzentren, über die Abschaffung der „Beliebigkeit“ in der Oberstufe und das Schnellläufer-Abi für alle / Ein Interview

Am kommenden Samstag hat die Bremer SPD ihren bildungspolitischen Parteitag. Was Horst von Hassel, Motitz Thape, Horst-Werner Franke, Bringfriede Kahrs und Henning Scherf gestaltet haben, 30 Jahre sozialdemokratischer Bildungspolitik, stehen auf der Kippe – sagen parteiinterne Kritiker des SPD-Bildungssenators Willi Lemke. Wir befragten ihn zu den aktuellen Themen.

taz: Es gibt inzwischen die Anmeldezahlen für die Gymnasien und die Gesamtschulen, die sind ...

Willi Lemke, Bildungssenator: Riesig groß.

Die Stadtteil-Gesamtschule am Leibnizplatz hat doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze. Am Kippenberg-Gymnasium sind erheblich mehr Kinder für die 5. Klassen angemeldet worden, als Plätze vorhanden sind. Die Schulzentren sind dagegen nicht der Hit.

Absolut richtig.

Mit dem 12-jährigen Schnellläufer-Curriculum wird noch einmal mehr ein Anreiz für die guten Schüler geschaffen, weg von den Schulzentren hin zum durchgängigen Gymnasium zu gehen. Das Bremer Schulzentrum kommt in eine Zange. Manche befürchten, dass dieses Bremer Spezifikum dann irgendwann am Ende ist.

Ich hoffe das nicht. Ich möchte als eines unserer Ziele nach wie vor bekräftigen, dass die Schülerinnen und Schüler so lange wie möglich in einer Schule zusammen bleiben. Das ist ein bildungspolitisches Ziel von mir. Deshalb versuche ich auch, die Schulzentren so weit wie möglich zu stützen und ihnen zu helfen, attraktiv zu bleiben. Das kann übrigens auch ein Schulzentrum sein mit einer angedockten gymnasialen Oberstufe wie wir es in Obervieland haben. Da habe ich das, was ich gerne möchte. Die Kinder sind nicht in Schubladen sortiert, sondern Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten so lange wie möglich zusammen unter einem Dach. Deshalb begrüße ich sehr die Initiative der Schulzentren Kornstraße und Gottfried Menken Straße, sich zusammenzuschließen, weil sie es mit einzügigen Gymnasial-Zweigen nicht durchhalten.

Das ist aber ein Krisenphänomen, dass diese beiden Schulzentren in ihrem gymnasialen Zweig so schrumpfen. Weil die Gymnasial-Eltern sagen: Wir fahren lieber über die Weser ins Gymnasium, da sie ein durchgängiges System wollen. Wenn es die Chance für ein Abi nach zwölf Jahren gibt – um so mehr.

Bei dem Angebot, das Abi in zwölf oder in 13 Jahren zu machen, sind wir in einer Übergangszeit. Es wird flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland kommen, in fünf oder zehn Jahren – in allen Bundesländern.

Für alle?

Für alle. Da können Sie mit mir eine Wette eingehen. Das Saarland hat das schon flächendeckend begonnen. Wir machen die behutsame Form. Wir sagen: Es gibt Kinder, die lernen schneller, denen geben wir nicht genug Futter in der 7., 8., 9. Klasse. Und wenn die das Abi in 12 Jahren machen, ist das kein Problem.

Die integrierte Struktur an den Schulzentren kostet viel Zeit. Alle Lehrer sagen: An den Brüchen nach der 6. Klasse und der 10. Klasse wäre viel Schulzeit einzusparen.

Man muss darüber nachdenken, wie man solche Übergänge so behutsam wie möglich gestaltet. Wenn ich mir anschaue, dass meine Kinder vier Jahre in die eine, dann zwei Jahre in die andere, dann drei Jahre wieder in eine andere Schule gehen – das ist doch eigentlich ein wenig viel Wechsel. Was die Oberstufe angeht, da wird es auch Änderungen geben. Das, was ich im Augenblick erlebe, ist nicht akzeptabel, weder organisatorisch noch finanziell.

Sie wollen die Wahlfreiheit der Leistungsfächer abschaffen.

Die Beliebigkeit, die unendliche Beliebigkeit an Bremer Oberstufen, die werde ich einschränken. Ich werde Schwerpunkte setzen. In jedem Stadtteil soll es die Angebote geben. Aber ein System, in dem Hunderte von Schülern ihre Chemie- oder Physik-Leistungskurse nicht machen können, weil wir überall alles anbieten und dann nicht durchführen können – dass das sinnvoll sein soll, kann mir niemand erklären. Diese Beliebigkeit, jeder kann alles machen und nach sechs Wochen abbrechen, rein raus, hin und her, und das bei ganz knappen Kassen - das kann nicht angehen. Ich möchte sagen: Wenn du Chemie-Leistungskurs haben willst, dann kriegst du den, und zwar in deinem Stadtteil. Das will ich hinkriegen.

Bis wann?

Bis zum Schuljahresbeginn 2002/2003. Wir dürfen auch nicht etwas völlig anderes als Niedersachsen, Hamburg oder NRW machen. In Niedersachsen beispielsweise ist die elfte Klasse noch im Klassenverband. Das ist viel billiger und ich weiß nicht, ob es viel schlechter ist. Ob die Abiturleistungen in Bremen so viel besser sind, das würde mich interessieren, wenn wir schon so viel mehr Geld dafür ausgeben. Wir können hier nicht die Insel der Glückseligen sein, die alles anders macht als die Republik. Das was im Augenblick läuft, ist nicht akzeptabel. Mich beunruhigt, dass die hohen Anmeldezahlen an den durchgängigen Gymnasien und an den Gesamtschulen so gegeneinander stehen.

Kann das in einer Demokratie dazu führen, dass der Bildungssenator sagt: Okay, dann machen wir eine Gesamtschule mehr und ein Gymnasium mehr? Demokratischer Elternwille gilt?

Ich bin in einer großen Koalition und muss einen riesigen Spagat machen.

Das wäre doch ein schöner Koalitionskompromiss: Die SPD kriegt ihre Gesamtschule Theodor-Billroth-Straße und die CDU ihr Gymnasium Delmestraße.

Warten wir es ab. Klar ist nur: Es ist nicht gut ein Schulzentrum zu machen mit einer einzügigen Gymnasialabteilung, das ist zu teuer und nicht qualitätsgerecht. Das können wir uns in Bremen nicht erlauben.

Man kann aber auch kein Schulzentrum machen mit Schnellläufer-Abitur.

Wieso soll eine Schnellläufer-Klasse nicht im am Standort Obervieland stattfinden?

Die laufen über denselben Teppichboden. Aber in den Schnell-läufer-Kurs kommt praktisch kein Realschüler rein.

Das wird sehr schwierig.

Durchlässig ist das System dann nicht mehr.

Vielleicht kann man nicht immer alle Wünsche erfüllen. An der einen oder anderen Stelle muss man einen Kompromiss eingehen. Man kann nicht immer alles haben.

Fragen: Klaus Wolschner