Alien Boys

Den Melvins war es zu verdanken, dass Rock in den 80ern wieder felsenhart kam. Heute gastiert die einflussreiche, kommerziell jedoch eher erfolglose Band im ColumbiaFritz

Was machen eigentlich die Melvins? Was für eine Frage. Natürlich immer noch dasselbe: Lärm. „Electroretard“, die letzte Veröffentlichung unserer Lieblings-Mosher, beginnt mit einer vier Minuten langen, überaus passend „Shit Storm“ getauften Kakophonie aus Gitarrenrückkopplungen und Schlagzeugexzessen, die von einem kranken Menschen am Mischpult im ständigen Wechsel auf- und abgedreht werden, als befänden wir uns mitten in einer großen bekloppten atmosphärischen Störung.

Anschließend werden sie dann wie AC/DC. So gut, wie AC/DC es nie geschafft haben zu werden. Also auch da ist alles beim Alten. „Electroretard“ ist eine Sammlung alter Demos, vergriffener Singles und Coverversionen von Pink Floyd bis zu den Wipers. Und bietet mithin unvollständigen Überblick und willkommenen Anlass, zurückzublicken auf eine der einflussreichsten und zugleich kommerziell erfolglosesten Bands der Rockgeschichte.

Den Melvins war es zu verdanken, dass man „Rock“ damals in den 80ern auch wieder mit „Felsbrocken“ übersetzen konnte. Sie waren, das muss immer wieder erwähnt werden, schuld an Nirvana. Und: Sie hoben Metal in den Rang von Diskurspop. Aber ihre Ausflüge zu Major-Plattenfirmen scheiterten in großem Stil. Was machen eigentlich die Melvins? Ist das überhaupt eine Frage? Muss die Frage nicht vielmehr heißen: Warum machen die Melvins? Oder: Wer will das denn noch hören?

Da fangen die Probleme an. Man kann noch so lange die Verdienste und Leistungen des Trios aus Aberdeen, Washington, rauf und runter beten. So richtig zuhören konnte man den Melvins eigentlich nur selten. Es gab immer mal wieder einen Song, der gut abging, der den Schweinerocker in uns allen erfolgreich befriedete. Der Rest aber war stets Rückversicherung und Vergewisserung, war Analyse und Dekonstruktion und entsprechend anstrengend.

Wer will schon auf Dauer dem eigenen Hörsturz beiwohnen? Anfangen haben sie Mitte der 80er-Jahre mit Coverversionen von The Who und Jimi Hendrix. Mittlerweile hat Gitarrist King Buzzo merklich an Gewicht zugelegt und Trommler Dale Crover schon den Ansatz einer Glatze und die Melvins werden selbst gerne gecovert. Innovation findet woanders statt, da können sie noch so viele quietschende, kreischende, quäkende Heavy-Metal-Hörspiele aufnehmen wie sie wollen.

Im vergangenen Jahr haben sie gleich eine Album-Trilogie herausgebracht, die dieser Tage auch hierzulande offiziell erschienen ist. Drei Platten innerhalb weniger Monate, wenn das nicht der Größenwahn des lebenden Klassikers ist. Die Melvins sind immer noch eine laute, fiese Rockband. Vor allem aber sind sie eins: Auf dem Weg zur Institution. THOMAS WINKLER

Heute ab 20.30 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 9-11, Tempelhof