zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Curlingspieler

Ahornschnaps und Besenkraft

Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass bei der großen Hexereireform im 14. Jahrhundert nicht nur das Rösten kleiner Kinder, das Herumtechteln mit einseitig behuften Höllenbewohnern und das Aufstacheln schottischer Clanchefs zum Mord an ihren Vorgesetzten strikt verboten wurde, sondern auch das Reiten auf Besen außerhalb von Hogwarts. Spätere Nachforschungen ergaben, dass der fragliche Paragraf von einem vorwitzigen Hexlein aus lauter Schabernack in das neue Gesetzeswerk praktiziert worden war, aber da er nun mal drin stand, hielt man sich auch daran. Das Problem war nur: Was sollte man mit den ganzen verdammten Besen anfangen? So kam Curling in die Welt.

Der Homo fegefortensis wird diese Version der Entstehung seiner erklärten Passion natürlich entrüstet von sich weisen, etwas von langen kanadischen Wintern, zugefrorenen Seen und zufällig herumliegenden abgeflachten Feldsteinen murmeln, bevor er zu einer extensiven Lobpreisung des Curlings ausholt, die darin gipfelt, es allen Ernstes zur seriösen und spannenden Sportart zu erklären. Obwohl wir mehr der ersten Erklärung zuneigen, müssen wir zugeben, dass auch für die Kanada-Variante einiges spricht. Zum Beispiel die Tatsache, dass Kanada die meisten und oft auch leistungsstärksten Exemplare des Homo fegefortensis aufweist, während er etwa in der Brockengegend so gut wie gar nicht vorkommt.

Einsehbar ist, dass es sich in den winterlichen kanadischen Weiten förmlich aufdrängte, eine Sportart zu kreieren, die man auch mit Pelzmütze, Wintermantel und Handschuhen ausüben kann, bei der man aber trotzdem nicht ständig von pubertierenden Jünglingen auf Kufen über den Haufen gerannt wird. Eine Sportart, die geeignet ist, die kurzen Tage mit einem Anflug körperlicher Betätigung an frischer Luft zu erfüllen, und trotzdem noch genug Zeit lässt, am Ahornschnaps zu naschen, den ein oder anderen Bären zu erlegen, ein paar Bäume zu fällen und über die Schändlichkeiten der englischen Sprache zu schimpfen. Und damit die restlichen Mitglieder der jeweiligen Mannschaft nicht festfrieren, während eines gerade damit beschäftigt ist, niederträchtige Pläne zur Beseitigung gegnerischer Steine auszuhecken und schließlich das eigene Gerät mit der Dynamik eines stillgelegten Ozeandampfers vorwärts zu schubsen, bekommen sie Besen in die Hände gedrückt und fegen wie die Teufel.

Curling ist in erster Linie geprägt durch den Kontrast, welchen der stoisch und majestätisch wie ein trödeliger St.-Lorenz-Strom dahingleitende Stein zur betriebsamen Hektik der ihn umflatternden Putzkolonne bildet. Diese wuselt und fegt, stößt spitze Schreie aus, feuert sich an und fegt und fegt und fegt. Die spitzesten und entsetztesten Schreie aber entringen sich der Kehle des Steinschiebers, dem irgendwann aufgeht, dass sein Wurf derart saumäßig war, dass er nur noch durch einen fegerischen Energieaufwand gerettet werden kann, der in etwa dem Frühjahrsputz in einem Sechspersonenhaushalt entspricht. Im korrigierend eingreifenden Besenschwingerteam manifestiert sich die ganze Absurdität dieser Sportart, denn schließlich kann sich auch kein Fußballspieler, wenn er aus 20 Metern abgezogen hat und merkt, dass der Ball stark zur Eckfahne tendiert, fünfzig Leute bereitstellen, die ihn ins Tor pusten. Oder ein Boxer ein paar Schläger aus dem nächsten Wirtshaus, die seinen Gegner vermöbeln, wenn er selbst vorbeigehauen hat.

Die rührige Betriebsamkeit auf der eisigen Fläche erlahmt schlagartig, wenn der Stein endlich – es scheint, als wären Stunden vergangen – mit einem trockenen „Klonk“ auf sein Ziel oder irgendwoanders hin prallt, die im so genannten Tee herumliegenden Granitbrocken durcheinander flutschen lässt und schließlich zum Stillstand kommt. Plötzlich sind alle Beteiligten völlig entspannt und beplaudern, locker auf ihre Besenstiele gestützt, ausgiebig die Lage, bis der nächste Homo fegefortensis entschlossen zum Granitblock greift und das ganze Theater von vorne beginnt, bis der Sieger feststeht.

Und wenn dieser gebührend gefeiert ist, und der letzte Ahornschnaps getrunken, dann, ja dann, schwingt sich der Homo fegefortensis auf seinen Besen und fliegt nach Hause.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 59, ist Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.