Wenn Entwicklungsländer mündig werden sollen

35 Schuldnerländer sollen Vorschläge zur Armutsbekämpfung machen. Die decken sich nicht immer mit den Zielen deutscher Entwicklungspolitik

BERLIN taz ■ Der Schuldenerlass für Entwicklungsländer bringt die Geberstaaten in ein Dilemma: Einerseits sollen die verschuldeten Länder einen Plan zur Bekämpfung der Armut erarbeiten – in Eigenveranwortung. Andererseits gelten für die Entwicklungszusammenarbeit nach wie vor bestimmte Vorgaben und Ziele. Dazu gehört zum Beispiel Familienplanung. Was nun, wenn ein Land sich erdreistet, in seinem Armutsbekämpfungsplan Verhütung außen vor zu lassen – etwa aus religiösen Gründen, wie in Burkina Faso? „Das erfordert auch von unserer Seite ein Umdenken“, sagt Ralf Schröder, Schuldenexperte im Entwicklungsministerium (BMZ). „Wenn ein Konzept gut begründet wird, müssen wir es erst mal akzeptieren.“

Der Armutsbekämpfungsplan ist die Bedingung für den Schuldenerlass, den die Industriestaaten 1999 beschlossen haben. Der Plan soll von „allen zivilgesellschaftlichen Gruppen im Schuldnerland“ mitgetragen werden. Er soll Vorschläge enthalten, wie die Zahl der Armen reduziert werden kann. „Das fördert demokratische Strukturen“, meint Renate Kirsch von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit.

„Das ist ein Prozess, der Jahre dauern wird“, gibt hingegen Barbara Unmüßig vom Entwicklungsverband Weed zu bedenken. „Das ist so, als müssten sich bei uns Bauern und Umweltschützer von jetzt auf gleich auf einen Zukunftsplan einigen – undenkbar.“ Viele Schuldnerländer wissen das zwar selbst, drängen aber dennoch darauf, den Plan möglichst schnell vom Tisch zu bekommen. Denn sobald der erste Entwurf (Interimspapier) von den Gläubigern abgesegnet worden ist, tritt ein Schuldenmoratorium in Kraft. Daher entwerfen nun oft die Regierungen der Schuldnerländer im Alleingang solche Interimspapiere und versprechen, diese bis zum endgültigen Schuldenerlass in ein bis drei Jahren von der Bevölkerung diskutieren zu lassen.

Etwa 35 armen, hoch verschuldeten Ländern sollen die Schulden erlassen werden. Während die Regierung allerdings von „dem Schuldenerlass“ spricht, so, als wären die Länder danach schuldenfrei, legen Entwicklungsverbände wert darauf, „dass es sich nur um einen Teilerlass handelt“, so Unmüßig. „Insgesamt sind diese Länder mit 211 Milliarden Dollar verschuldet. Die Geberländer verhandeln zur Zeit über 34 Milliarden Dollar, das muss man mal in Relation setzten.“

Unmüßig kritisiert zudem, dass die gestiegenen Ölpreise zusammen mit den fallenden Rohstoffpreisen die finanzielle Erleichterung durch weniger Schulden ohnehin zunichte machten. „Ein Kollege hat ausgerechnet, dass Ghana dadurch 500 Millionen Dollar verloren gehen. Dem steht bestenfalls ein Schuldenerlass in zweistelliger Millionenhöhe gegenüber.“ Auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich bereits dafür ausgesprochen, den Schuldenerlass wegen der Ölpreise auszuweiten.

25 Länder haben bisher ihre Pläne zur Armutsbekämpfung vorgelegt. Darin werden vor allem Budgeterhöhungen in der Sozialpolitik vorgeschlagen. „Abfedernde Maßnahmen“ nennt Unmüßig das. Viele drängende Probleme würden nicht angepackt. Zum Beispiel Agrarreformen. Das weiß man auch im BMZ: „Natürlich einigt man sich in den Schuldnerländern erst mal auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner“, sagt Schröder. „Trotzdem wollen wir diese wichtigen Punkte auf der Agenda halten.“ Da ist es wieder, das Dilemma zwischen der Eigenverantwortung der Entwicklungsländer – auch wenn es oft nur eine Minderheit ist, die sich zum Sprachrohr für den Rest ernennt – und der Bevormundung durch die Geber. KATHARINA KOUFEN