Eine Blutlady in Pink

■ Noch zweimal wird die beeindruckende Tian Mansha vergeblich versuchen, sich als szechuanesische Lady Macbeth in der Shakespeare Company die Hände rein zu waschen

Andrej Woron häufte letztes Jahr im Schauspielhaus bei seinem Macbeth wahre Hochgebirge aus Knochen auf. Auch Heiner Müller legte in seiner Klassikeradaption ein gesteigertes Interesse am Mas-saker-an-sich an den Tag, oder sollte man besser sagen an die Nacht? Ganz zu schweigen von dem horriblen Ketchup-Konsum, den sich Edel-Splatter-Fachkraft Polanski für seine Macbeth-Verfilmung 1971 leistete. Vergleichsweise friedlich geht es bei Tian Mansha und dem 1953 gegründeten Szechuan Opera Institute zu. Ihr Stück heißt „Lady Macbeth“, und die Lady ist denn auch die einzige des Wortes mächtige Person auf der Bühne. Ihr Gemahl ist nicht viel mehr als eine stumme Goldmaske, die mit ihren überlangen Fasanenfedern am Kopf pfaueneitel wippt. Und einen König gibt es erst gar nicht. Deshalb läuft auch seine Ermordung rein virtuell ab. Die grusligen Todeskrämpfe kommen nur in den Worten der Lady vor, die der Zuschauer auf Deutsch ablesen kann von einer blässlichen Schriftzeile über der Bühne.

Es kommt weder zu Folgemorden noch zu einer Schlacht. Und so sind diverse Grundideen des Original-Mac schachmatt gesetzt. Weder lehrt das Stück, dass Gewalt immer neue Gewalt nach sich zieht, noch dass Prophezeihungen den Gang der Handlung nicht nur vorhersagen, sondern beeinflussen. Was bleibt, ist das Psychodrama um einen Mord.

Als unsensibler westlicher Besucher erkennt man zwar Unterschiede zur Pekingoper „Die Nachtigall“ (letzterdings in der Glocke) was die Rollenverteilung von Akrobatik (hier keine), Gesang und Sprechen anbelangt, sie erscheinen uns aber eher gering.

Schon einmal sahen wir die Lady aus schrägen Augen stieren, nämlich in Kurosawas nebelverhangener Adaption „Das Schloss im Spinnwebwald“. Und es waren sinistre, bösartige Augen. Auch bei Tian Mansha guckt der Zuschauer gebannt auf diese unglaublich virtuos rollenden Augen. Man würde diese Sänger-Schauspielerin aber mit ihren weichen, schönen Gesichtszügen eher in Rollen wie der Julia oder Ophelia erwarten.

Das chinesische Theater unterscheidet sich vom westlichen nicht nur in dieser Rollenbesetzung oder in der Verlagerung des Königsmords in die Imagination des Zuschauers. Die Lady trägt nicht dunkel, sondern stolziert in weiß, lila und rot. Der Königinnenmantel, den sie sich ergaunert, quietscht lustig auf Gelb. Besonders anbetungswürdig aber ist das pinkige Augen-make-up zum tulpenroten Lippenstift. Hier ist eine Kombinationslust zu bewundern, die derjenigen von T-Shirts der Hippieära sehr nahe kommt. Die gewagten Kopfaufbauten gar könnten aus dem Fundus vom Travestietheater der Madame Lothár stammen.

Düstre Atmosphäre gebaut wird hier nicht durch Farbe, Requisit und Bühnenbild, sondern zum Beispiel durch ein besonders ausgefeiltes Tremolo, wenn vom „Erschaudern“ die Rede ist, durch ein beherztes Abspreizen des kleinen Fingers im Nagelbereich, durch ein ermüdetes Wegknicken im 2,5ten Glied des Mittelfingers oder durch eine Bogenbeschreibung von 27,9 Grad mit dem Fuß, der ansonsten nur selten sichtbar ist, was für seine erotische Wertschätzung spricht. Die überlangen Ärmel werden gerafft, geschleudert oder gewirbelt und wenn Tian Mansha schnell geht, scheint sie im langen Gewand auf einer Wolke zu schweben.

Eingeführt in diese Ästhetik der miniaturisierten Gesten wird der Zuschauer in einer Art Orchesterouvertüre. Ehe die Musiker nämlich in ihren Orchestergraben – in diesem Falle ein Orchesterplateau unter der Decke – abgeschoben werden, dürfen sie sich auf der großen Bühne vorstellen. Abgesehen von ein paar Blasinstrumenten, die dem Klang mittelalterlicher Schalmeien nahekommen, einem rudimentären Streichinstrument, auf dem vermutlich schon Mammuts in Höhlen spielten, bearbeiten die Musiker Schlaginstrumente. Im Unterschied zu Sigi Schwab sind sie nicht umzingelt von 1000 verschiedenen Klanggebern, sondern müssen sich mit zwei Trommeln, zwei Klapperhölzchen oder 8 Gongs bescheiden.

Der Wechsel von Stillhalten und Weiterspielen, langsam und schnell ist aber überaus raffiniert und aufmerksamssteigernd. Es erinnert an die Rhythmik der Schauspieler, die plötzlich festzufrieren scheinen und dann eine Geste in kleinen ruckartigen Schritten ausführen. In der Stimmführung scheinen die vielfältigen Modulationen, denen die einzelnen Töne unterzogen werden, wichtiger zu sein als die Melodieführung. Und so schwankt der westliche Zuschauer zwischen Distanz und Bewunderung.

In einer Szene aber deckt sich szechuanesischer und westlicher Inszenierungsstil: Die Mörderhände, von denen das Blut nicht abwaschbar ist, wedeln ängstlich aus einer Wand von weißen Tüchern hervor: könnte fast von Andrej Woron sein. bk

Theater am Leibnizplatz, 16.+17.3. 19.30h, Tel.: 500333