Klüger, schneller, jünger

Klassen sind out, Leistungsniveaus sind in. Schulsenator Böger will künftig die Hauptfächer in den Berliner Grundschulen klassenübergreifend unterrichten lassen – unterteilt in unterschiedliche Niveaus. Gegner kritisieren Bevormundung der Schulen

von CORINNA BUDRAS

In den Grundschulen wird sich nach den Plänen von Schulsenator Klaus Böger (SPD) ab dem nächsten Schuljahr Leistung wieder lohnen: In den fünften Klassen soll ein Drittel der Stunden in Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache in zwei Niveaustufen unterrichtet werden. Die sechsten Klassen folgen spätestens im Schuljahr 2002/2003. „Äußere Leistungsdiffenzierung“ nennt sich das.

Der Alltag eines Fünftklässlers könnte dann so aussehen: Der elfjährige Mathe-Überflieger wird in den Profi-Mathe-Kurs eingeteilt – mit all den anderen Cracks aus seiner Stufe, die schon nach wenigen Stunden in die Tiefen der Bruchrechnung eintauchen. Die anderen Mitschüler besuchen den Normalo-Kurs. In Englisch kann das wieder ganz anders aussehen. Der Mathe-Überflieger mit einer starken Abneigung gegen Fremdsprachen kommt dann in Gruppe B und liest, anders als seine Altersgenossen, in Gruppe A eben noch keine anspruchsvolle Lektüre. Sollte er irgendwann merken, dass ihm Englisch mehr liegt als Mathe, kann er spätestens im nächsten Halbjahr die Kurse tauschen. Die Schulen können die Leistungsdifferenzierung zudem weitgehend flexibel gestalten. So können etwa die Stundenzahlen des Teilungsunterrichts je nach Fach variieren, wie es der Schule zweckmäßig erscheint.

Mit diesem System soll das erstarrte Grundschulsystem ein wenig aufgepeppt und auf Leistung getrimmt werden. Der Hintergrund dieser Neugestaltung: Der ewige Streit um die 6-jährige Grundschule. Die wurde in den letzten Jahren von den unterschiedlichsten Vertretern genauso leidenschaftlich angegriffen wie verteidigt. Immerhin stehen Berlin und Brandenburg mit ihrer 6-jährigen Grundschule allein auf weiter Flur. In den restlichen Bundesländern gehen die Schüler nach der 4. Klasse entweder direkt auf die weiterführende Oberschule oder besuchen zwei Jahre lang eine Orientierungsstufe.

Inzwischen steht jedoch fest: Die 6-jährige Grundschule bleibt – sie wird nur etwas wettbewerbsfähiger gestaltet. Laut Thomas John, Sprecher der Schulverwaltung, ist das notwendig, um den Sturm auf die so genannten grundständigen Gymnasien abzuschwächen. Sie beginnen bereits nach der 4. Klasse. Inzwischen gibt es 22 Schulen dieses Typs, und der Bedarf ist damit noch lange nicht gedeckt. Jedes Jahr müssen sie Hunderte Bewerber abwimmeln, die sich vom frühen Wechsel auf das Gymnasium eine bessere Ausbildung erhoffen.

Bereits 150 Schulen haben das Modell der „äußeren Leistungsdifferenzierung“ in dem laufenden Schuljahr ausprobiert. An den meisten Weddinger Grundschulen wird in dem Programm „Schule in eigener Verantwortung“ schon seit einigen Jahren herumexperimentiert. Noch bevor dieses System Schulalltag wird, haben sie bereits die unterschiedlichsten Erfahrungen gesammelt. Die Rehberge-Grundschule in Wedding zum Beispiel ist von ihrem Modell inzwischen voll überzeugt. Laut der Schulleiterin Renate Preibusch-Harder offeriert es für jeden etwas: „Die schnelleren Schüler können mit Zusatzprogrammen effektiver lernen“, so Preibusch-Harder. Andererseits trauten sich die langsameren Schüler bei einem niedrigeren Niveau eher, Fragen zu stellen. Ihr einziger Kritikpunkt: Der Teilungsunterricht lässt sich nicht, wie vom Schulsenat gefordert, kostenneutral durchführen. „Eine lernschwache Gruppe kann nicht in Klassenstärke unterrichtet werden.“ Stattdessen müssten kleinere Kurse gebildet werden. Das erfordert aber eine größere Zahl von Lehrern – und kostet damit mehr. Diese Erfahrungen teilt auch Holger Leimbach, stellvertretender Schulleiter der Brüder-Grimm-Schule in Wedding. Er befürchtt außerdem, dass die Klassen zerstückelt werden könnten und damit integrative Konzepte erschwert würden. „Besonders ausländische Schüler sind auf stabile Lerngruppen angewiesen“, weiß Leimbach.

Özcan Mutlu, schulpolitischer Sprecher der Grünen, lehnt die Pläne der Schulverwaltung ab. Er wittert die Gefahr, dass die Entwicklung lernschwacher Kinder gestört würde. „Die Eltern werden den Druck auf ihre Kinder noch erhöhen“, warnt Mutlu. Außerdem stört ihn, dass dieses Modell den Schulen verpasst wird, ohne dass sie entscheiden können, ob es für sie überhaupt Sinn macht. „Die äußere Leistungsdifferenzierung geht an den Realitäten der Berliner Grundschule vorbei, die völlig unterschiedliche Bedürfnisse abdecken müssen“, so Mutlu.

Eine Ansicht, die Ellen Hansen, Leiterin der Werbellinsee-Grundschule, teilt. Sollten die Pläne im nächsten Schuljahr tatsächlich umgesetzt werden, wird sie eine Ausnahmegenehmigung beantragen. „Die äußere Leistungsdifferenzierung passt einfach nicht in unser Konzept“, meint Hansen. Ihrer Erfahrung nach wird der Lernerfolg verstärkt, wenn die Unterschiedlichkeit der Schüler so lange wie möglich berücksichtigt und im Unterricht genutzt wird: „Heterogenität hebt den Standard.“