Der Riesenknutschfleck machte alles klar

Die erste Lesbenberatung der Bundesrepublik in der Kulmer Straße in Schöneberg ist 20 Jahre alt geworden. Dass sie lesbisch sind, verbergen weniger Frauen als früher. War es damals tabu, über das Thema „Kinderwunsch“ zu reden, schweigen manche junge Lesben heute über Gewalt in der Beziehung

von JULIA HARBECK

In der Mitte des hohen, weiß getünchten Raums sitzen sieben junge Frauen auf bunten Sitzkissen und spielen „Tabu“. Es wird geflirtet, gelacht und viel durcheinander geredet. Die 17-Jährige Léa muss einen Begriff erklären, die anderen müssen ihn erraten. Léa stutzt: „Was um Himmels willen ist ein Schneebrett?“ Die prompte Antwort kommt von Regine: „Eine Schneefrau ohne Brust.“ Die anderen plumpsen vor Lachen von ihren Sitzkissen.

JungLesbentreff in der ältesten Lesbenberatung der Bundesrepublik. Wer die selbstbewusste, mitunter derb-scherzende Runde erlebt, ist sich sicher: Im Jahr 2001 ist Lesbischsein kein Problem mehr. Die Sozialpädagogin Martina Frenznick, 37, relativiert. So leicht wie für Léa und Regine sei es nicht für alle Frauen, die zur Beratung in die Kulmer Straße nach Schöneberg kommen. „In unserer Coming-out-Gruppe geht es nicht so offen zu.“ Dort sind die meisten Frauen zwischen 25 und 40 Jahre alt. Sie fangen gerade erst an, darüber zu sprechen, dass sie Frauen lieben.

Für Léa war das einfacher: „Mit 13 kam ich eines Morgens mit einem Riesenknutschfleck in die Küche.“ Der Fall war klar: Eine Freundin hatte bei ihr übernachtet. „Meine Mutter hat sechs Tage nicht mit mir geredet. Mein Vater wollte mich sofort in die Schwulenbars dieser Stadt schleppen.“ Seit diesem Tag sagt Léa offen, dass sie Frauen liebt. Bei Nadja, 19, ist das anders. Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen, nur ihre besten Freunde und ihre Eltern wissen Bescheid. „Ich bin Schulsprecherin und auch sonst ziemlich aktiv. Ich hab keine Lust, mir von Siebtklässlern blöde Bemerkungen anhören zu müssen.“ Blöde Sprüche, Diskriminierung, immer zu merken, dass man anders ist – alle hier kennen dies Gefühl.

Hat sich also doch nicht so viel geändert in 20 Jahren? Jessica, 27, die wie Martina psycho-soziale Beratung für Lesben anbietet, meint: „Die Junglesben sind selbstbewusster. Die Tabuthemen sind andere.“ So waren 1981, im Gründungsjahr der Beratung, und lange danach noch die Themen Aids oder Lesben und Kinderwunsch tabu. Lesben heute tun sich dagegen schwer, über Gewalt in ihren Beziehungen zu reden. Körperliche wie seelische Gewalt hat unter Lesben deutlich zugenommen, weiß Martina aus Einzelgesprächen. „Aber in der Paarberatung wird das unter den Tisch gekehrt.“

Die Lesbenberatung will aber nicht nur Probleme lösen. „Viele wollen einfach nur Spaß haben“, hat Jessica festgestellt. Wo kann ich als Lesbe tanzen gehen, Sport machen oder andere Lesben kennen lernen? Dies sind nur einige der Anfragen, die täglich gestellt werden. In der Anfangszeit, 1982, zählte die Beratung 370 Kontakte zu Lesben. Im letzten Jahr waren es über 4.000. Eines ist gleich geblieben: Die Lesbenberatung will vielseitig sein. „Wir sehen uns als Informationspool“, sagt Martina. In der Einzel- oder Paarberatung, in den Gruppen oder der Bibliothek bekommen Lesben Hilfe und Information.

Seit ein Teil der Projekte vom Senat finanziert wird, hat die Beratung ein einigermaßen sicheres Standbein. Auf Spenden sind die Frauen trotzdem angewiesen. „Und jedes Mal, wenn renoviert werden muss, geht natürlich unsere Freizeit dabei drauf“, sagt Martina.

Wenn das das einzige Problem wäre! Auf die Frage, wem sie niemals davon erzählen würden, dass sie lesbisch sind, rufen Léa, Regine, Nadja und die anderen fast gleichzeitig: „Meiner Oma!“ Ihre Enkelin eine Lesbe – diese Info sei den alten Damen einfach nicht zuzumuten. Das Alter ist eben so eine Sache – unterschiedliche Positionen zwischen „Jung“ und „Alt“ gibt es auch bei den Lesben: Von mancher, die noch für die Frauenbewegung auf die Straße gegangen ist, müssen Léa und ihre Freundinnen anhören, Lesben hätten es heute viel leichter. „Aber eines war vor zwanzig Jahren genauso wie heute“, sagt Martina und lacht: „Oma durfte nichts erfahren.“