„Hintergrund liefern, wann immer es geht“

Grimme-Preisträger und ARD-Ostasienkorrespondent Klaus Scherer über Japan, Auslandsberichterstattung und den Nachrichtenwahn im Fernsehen

taz: In Ihrem preisgekrönten Film „Kamikaze – Todesbefehl für Japans Jugend“ enthüllen Überlebende die zynische Menschenopfer-Strategie hinter dem Mythos tapferer Selbstmordpiloten. Sind klassische Auslandsreportagen in Zeiten von „Big Brother“ als mutmaßliche Quotenkiller schwerer durchsetzbar?

Klaus Scherer: Die „Kamikaze“-Dokumentation hatte am Donnerstagabend um 21.45 Uhr einen wunderbaren Sendeplatz. Ich kann mich da über mangelndes Vertrauen nicht beklagen. Der Marktanteil lag über 13 Prozent, Quotenkiller haben gemeinhin weniger. Das Echo auf „Kamikaze“ war für mich ein ermutigender Beleg dafür, dass klassischer, schnörkelloser Journalismus weiter sein Publikum findet, und zwar ohne dass man dabei Modetrends folgen muss und ohne dass man wie die Privaten hinterher so tun muss, als seien die, die nicht zusahen, ohnehin nicht relevant.

Wie wichtig sind für Sie solche längeren Filme im Vergleich zu Nachrichtenbeiträgen, und wie oft kommen Sie als Korrespondent überhaupt dazu?

Wir haben für den Film über ein Jahr recherchiert. Das Problem ist, dass das neben dem laufenden Nachrichtenbetrieb bei immer mehr aktuellen Sendungen eigentlich nicht geht. Ich hatte zeitweise Verstärkung aus Hamburg hier, das hat sehr geholfen, löste aber das Grundproblem nicht. Ich halte den zweiten Blick auf ein Land – gerade durch Korrespondenten, die dort leben – für ebenso wichtig wie den ersten, aktuellen. Unser Ziel bleibt beides: bei Ereignissen vor Ort zu sein und Hintergrund zu liefern, wann immer es geht.

Sie haben auch über die Geiselkrise in Jolo berichtet, im vergangenen Jahr eines der Hauptthemen aus dem Ausland. Kamen dabei die Hintergründe nicht viel zu kurz im Vergleich zum Schicksal der deutschen Familie Wallert?

Es ist eine legitime Nachrichten-Kategorie, ob ein Ereignis das Publikum betrifft. Dass Deutsche unter den Entführten waren, hat Aufmerksamkeit erregt. Die Frage ist, was man dann macht. Die ersten Bilder von den Geiseln, die ein einheimisches Team gedreht hatte, waren informativ, weil man bis dahin nichts über sie wusste. Den Reporter-Trips ins Geiselcamp haben wir uns danach nicht angeschlossen, und das war richtig. Nicht nur, weil es uns davor bewahrt hat, selbst in die Falle zu tappen. Was den Hintergrund betrifft, war mir bereits wichtig, dass auch in einem Nachrichtenstück mal ein Bewohner sagen konnte, dass Jolos Muslime nicht alle Terroristen sind. Und wichtig ist, dass wir auch danach wieder ins Land kommen, etwa wenn die Filipinos ihren Präsidenten aus dem Amt jagen. Natürlich konkurriert das dann immer auch mit Inlandsthemen und allem, was noch in der Welt passiert, wenn es in Asien längst dunkel ist.

Wann haben Auslandsthemen Chancen im Fernsehen?

Was Nachrichten angeht, wenn die Agenturen dazu heißlaufen. Und je leichter die Nachrichten erfassbar sind. Wenn Japans Premier nur wackelt, fehlt der Tagesschau der Rücktritt.

INTERVIEW: SVEN HANSEN