Die Monadologen

Jeder Klang ist eine Welt für sich: Die amerikanische Band Labradford ist auf ihrem jüngsten Album „Fixed:: Context“ wieder ganz mit sich allein

von MICHAEL SAAGER

Als die drei aus Richmond in Virginia stammenden Musiker im Jahr 1992 ihre Band Labradford gründeten, standen sie unter dem Einfluss eines Hörerlebnisses. Tief beeindruckt hatte sie Brian Enos und Clusters „The Belldog“ aus dem Jahr 1978: ein flächig mäandernder Song ohne Anfang und Ende, frei fließend, bezaubernd und traurig. „Meines Erachtens hatte hier jemand einen ‚Popsong‘ auf eine völlig andere Art und Weise interpretiert, was meine Ansichten bezüglich Labradford und der uns umgebenden Möglichkeiten vollkommen veränderte“, bemerkte Labradfords Keyboarder Carter Brown dazu einmal.

„The Belldog“ markierte für Carter Brown, Gitarrist Mark Nelson und Bassist Robert Donne den Ausgangspunkt ihres weiteren musikalischen Weges. Und wie sehr Labradford seit ihrem 93er Debutalbum „Prazision“ ihre musikalischen Koordinaten im Einzelnen auch veränderten, Enos Lektion wirkte fort: Bis heute haben die Songs von Labradford nichts von ihrer Melancholie und ihrer fließenden Nonlinearität verloren. Sie wirken noch in ihren epischsten Momenten, etwa wenn sie an die Kompositionen Ennio Morricones oder Angelo Badalamentis erinnern, so, als ob sie nur sich selbst gehören: jeder Song seine eigene traumverlorene Welt. Der Versuch einer Spiegelung der Musik am Gestus und Habitus der Musiker drängt sich da beinahe auf. Und tatsächlich erwecken sie bei ihren Live-Auftritten einen unzugänglichen, nahezu monadischen Eindruck. Heitere Weltzugewandtheit scheint ihnen ziemlich fremd.

Völlig allein mit ihrer musikalischen Arbeit waren Labradford dann aber doch nie. Von Anbeginn unter Vertrag beim Chicagoer Label Kranky – einer Plattform für Projekte und Bands mit einem Faible für Analog-Ambient und Dronesounds – fanden sie in Amp, Tomorrowland, Stars Of The Lid oder Godspeed You Black Emperor Gleichgesinnte, die, von Godspeed einmal abgesehen, bis heute um jeden noch so kleinen Medienhype locker herumgekommen sind.

Lange Zeit arbeiteten Labradford an einer kontinuierlichen Reduktion und Verfeinerung ihrer meist instrumentalen Songs. Den flächigen und relativ grob geschichteten Feedback-Gitarren-Teppich ihres 95er Albums „A Stable Reference“ tauschten sie ein paar Jahre später gegen E-Piano, Slideguitar und eine Stringsektion und waren damit weniger Drone als je zuvor. Der Reduktionsprozess dauerte an, und mit ihrem 99er Album „E Luxo So“ schlossen sie sich dann ganz ein in einen hermetischen Raum aus Stille und Abstraktion. Ihre Aufmerksamkeit galt hier dem Dahinter oder Darunter, kurz dem Unbeobachtbaren, evoziert durch eine musikalische Leere, die sie nur punktuell mit flirrenden elektronischen Sounds unterbrachen.

Auf „Fixed:: Context“, ihrem jüngsten Album, tun Labradford etwas für Musiker eher Untypisches. Sie gehen, zumindest auf den ersten Blick, zwei bis drei Schritte zurück und tauschen ihre jüngste Vergangenheit gegen die Zeit vor „E Luxo So“. Ihre Musik hat zur erkennbaren Gestalt zurückgefunden, klanglich stehen sie wieder in deutlich hörbarer Nähe zu „Labradford“ (1996) und „Mi Media Naranja“ (1997), ihren bis dahin atmosphärisch dichtesten Alben. Dass ein Zurückgehen bei Labradford aber nicht einfache Regression bedeutet, zeigt ein nochmals gewachsenes Verständnis der Musiker für ein Verdichten und Auflösen der live eingespielten Sounds, zeigt ihr großartiges Gespür für subtile Steigerungen innerhalb endlos dahinschwebender Songs.

Schön zu sehen, wie kalkuliert-genau und gleichzeitig liebevoll Labradford auf „Fixed:: Context“ mit jedem Ton und jedem noch so unscheinbaren Detail umgehen, ohne sich dabei im Einzelnen zu verlieren und ohne dass die Musik darüber ihre meditativ-ernsthafte und weltähnliche Erscheinung einbüßt. Vielleicht liegt man ja gar nicht mal falsch, wenn man „E Luxo So“ vor allem als kathartische Übung betrachtet, ohne die „Fixed:: Context“ so niemals hätte entstehen können.

Labradford: „Fixed:: Context“ (Mute/Blast First)