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die stimme der kritikBetr.: Zahlenqualen

Das Nummern-Ich

Am Bankautomaten muss ich immer an meine Oma denken. Nicht nur weil sie 50 Mark überwiesen haben könnte, sondern weil ihr Geburtsdatum meine Geheimnummer ist. Zum Glück habe ich das endlich gemerkt: Seitdem spuckt die Kiste tatsächlich Scheine aus. Numerologisch wertvoll ist auch das Handy – nämlich ständig gesperrt: „Falsche Eingabe. Noch mögliche Versuche 0.“ Statt regelmäßig zum Telekommunikationsgeschäft zu laufen, weiß ich jetzt: Die Quersumme meiner Handy-PIN ergibt mein aktuelles Alter – nächstes Jahr muss halt ein neues Handy her.

Auch der Chef fordert Zahlen: „Ich brauche Ihre Personalnummer, sonst kann ich den Urlaubsantrag nicht bearbeiten“ – okay, die Hausnummer meines Nachbarn, gefolgt von den ersten drei Ziffern der Telefonnummer meines Hausarztes und abschließend das Jahr, in dem unser Hund gestorben ist. Meine Deutsche-Bahn-Kundennummer ist sogar das Ergebnis noch höherer Mathematik: die Wurzel aus dem Datum des Mauerfalls plus der Preis meines Lieblingsweins plus das Ergebnis der letzten beiden Sätze des Wimbledon-Endspiels Boris Becker gegen Kevin Curren.

Die bislang größte Herausforderung ist allerdings das Online-Banking. Neben einer fünfstelligen PIN (Schnapszahl! Yeah!) werden dem Nutzer 50 TANs (Transaktionsnummern) aufgebürdet, die „Dritte nicht ausspähen“ dürfen. Also gut, jetzt wird kräftig eselsüberbrückt: Die erste ist der Kehrwert des eigenen Gewichts im Quadrat, die zweite die PIN-Nummer meines Handys rückwärts – oder war es die Hälfte der Telefonnummer meines Hausarztes? Und die dritte war doch irgendwie die tägliche Ration an Überraschungseiern?

Dank dieser kalkulatorischen Höchstleistungen steht fest: Noch bevor der Staat uns genetisch decodiert, haben wir längst freiwillig das eigene Ich durchnummeriert.

JUTTA HEESS

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