Lautstarker Krach um die Stille

Hessen: Regierung will kein Nachtflugverbot ohne Flughafenausbau, Opposition keinen Ausbau ohne Verbot

FRANKFURT/M. taz ■ Am Sonntag wird in den hessischen Kommunen gewählt. Und im Süden des Landes gibt es nur noch ein Wahlkampfthema: den Flughafenausbau. Am vergangenen Samstag besetzten Gegner des Baus der Landebahn Nord am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen den Balkon am Wiesbadener Rathaus. Sie forderten den Verzicht auf alle Ausbaupläne und ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr.

Auch in Flörsheim am Main protestieren die Bürgerinnen und Bürger seit Wochen stumm gegen die neue Landebahn: „Stille ist ein Geschenk.“ Sie befürchten, dass ihre Stadt bei der prognostizierten Überflughöhe von unter 150 Metern unbewohnbar werden könnte. Und die Opelstadt Rüsselsheim und vier weitere Kommunen im Landkreis Groß-Gerau, denen der Wald auf dem Gelände der geplanten neuen Rollbahn gehört, haben den Sachverständigen den Zutritt verweigert, die die Grundstücke im Rahmen des Genehmigungsverfahrens betreten wollten. Gegen eine Anordnung auf Sofortvollzug wollen die Städte und Gemeinden jetzt vor die Verwaltungsgerichte ziehen.

Für ein Nachtflugverbot kämpfen die Menschen in der Region schon seit mehr als zwanzig Jahren. Jetzt würden sie von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) „erpresst“, sagten Mitglieder der Bürgerinitiative in Neu-Isenburg in der vergangenen Woche. Ein Nachtflugverbot „von 23 Uhr bis 5 Uhr“ (Version Koch) werde es nur geben, wenn der Flughafen ausgebaut werde: „Ohne neue Landebahn kein Nachtflugverbot!“

Verkehrsminister Dieter Posch (FDP) hatte da allerdings gerade ein Gutachten vorgelegt, in dem der extrem schwierige und lange Weg zu einem Nachtflugverbot über ein eigenständiges Genehmigungsverfahren des Landes beschrieben wurde. Posch erklärte danach, er glaube nicht daran, dass ein Verbot zu realisieren sei. Posch gegen Koch also. Die Lufthansa jedenfalls freute sich. Sie drohte schon mit dem Abflug nach München, falls das Verbot doch irgendwie durchgesetzt werden sollte.

Das Unternehmen steuere einen gefährlichen Kurs, warnte denn auch der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Armin Clauss, am Mittwoch. Das Nachtflugverbot sei unverzichtbarer Teil der Empfehlung der Mediatoren, die zwei Jahre lang das Für und Wider des Flughafenausbaus abgewogen hatten. Es stehe nicht zur Disposition. Clauss machte dann die Rechnung auf, die zu begleichen sich Ministerpräsident Roland Koch nach wie vor scheut: „Ohne Nachtflugverbot kein Ausbau!“ Koch hielt noch einmal stur dagegen: „Ohne Ausbau kein Nachtflugverbot.“

Als „Lügenbaron“ fliegt Koch auf einer Kanonenkugel über das Hessenland – auf den Wahlplakaten der Grünen. Viele Bürger im Flughafenumland glauben dem Christdemokraten, der im Zusammenhang mit der Schwarzgeldaffäre wenigstens dreimal gelogen hat, ohnehin schon lange nichts mehr. „Am Ende wird es dann heißen, dass das Nachtflugverbot leider nicht durchsetzbar gewesen sei“, befürchtete ein BI-Sprecher aus Mörfelden-Walldorf. Auf einem Symposium der Bürgerinitiativen am vergangenen Wochenende in Rüsselsheim wurde auch daran erinnert, dass die Flughafen AG, die jetzt „Fraport“ heißt, bald privatisiert werde. Da spiele das „Primat der Politik“ dann wahrscheinlich ohnehin eine nur noch untergeordnete Rolle.

Die Grünen im Landtag wollen Koch jetzt zwingen, sich zu bekennen. In einem Antrag fordern sie die Landesregierung dazu auf, „unverzüglich alle rechtlichen Schritte“ zur Einleitung eines Genehmigungsverfahrens für das Nachtflugverbot einzuleiten. Schließlich sei das Verfahren für den Ausbau schon längst angelaufen.

Die Stunde der Wahrheit kommt also bald für Koch. Allerdings erst auf der nächsten Plenarsitzung des Landtages – und die findet nach der Kommunalwahl am nächsten Sonntag statt.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT