Dreamteam mit Verspätung

Einen einzigen Fehler hat Renate Künast gemacht. Und vielleicht war das gut so.

Heute wird der Verwaltungsrat Rindfleisch voraussichtlich dem Vorschlag von EU-Agrarkommissar Franz Fischler folgen und ein zweites Rinder-Schlachtprogramm für weitere 1,2 Millionen Tiere auflegen. Gegen den Widerstand der deutschen Verbraucherschutzministerin. Bereits beim Agrarrat vor zwei Wochen hatte Künast Fischler und sein Sieben-Punkte-Programm scharf angegriffen. Dieses sei „nur die Fortsetzung einer verfehlten Agrarpolitik“, hatte sie geschimpft. Und ein Krisenmanagement neben der Kommission ins Gespräch gebracht. Fischler aber gab nicht nach. Dies sei kein Agrarwende-Programm, sondern ein Notprogramm für den Fleischmarkt. Und die Deutschen seien schließlich „Hauptverursacher des Problems“.

Inzwischen versuchen Künasts Sprecherinnen den Streit herunterzukochen. Das Programm werde durchgehen – und das Verhältnis zu Fischler sei gut: „Da ist kein Zoff in der Bude, keiner.“

Der Streit hat Künast erstmals in die Kritik gebracht. Gleich zwei SPD-Länderagrarminister hielten ihr vor, unnötig das Verhältnis zu Fischler zu trüben. Schließlich setzte der sich schon für eine ökologischere Landwirtschaft ein, als Künast noch gar nicht am Thema interessiert war.

Der Dämpfer war vielleicht nötig. Denn Künasts Start war traumhaft. In wenigen Wochen schaffte es die Juristin, zur drittbeliebtesten Politikerin zu werden – übertroffen nur von Gerhard Schröder und Joschka Fischer. In ihrem Umfeld hat man so bereits Angst vor dem Erfolg. „Sie ist zu gut gelaufen – das ist ihr größtes Problem“, heißt es.

Am Frauentag schrieb die Bild-Zeitung über die linke Grüne: „Sie ist kompetent und kämpferisch. Einfach wunderbar!“ Und positionierte Künasts Porträt gleich neben das von Pippi Langstrumpf. Dies muss einer Frau gut tun, die sich mit 14 gegen ihre Eltern durchsetzen muss, um auf die Realschule zu dürfen, und die neben ihrem Jurastudium als Sozialarbeiterin im Männerknast arbeitet. Die sich mit harter Arbeit nach oben arbeitete. Und die über sich selbst sagt, sie sei „schüchtern, klein und pickelig“ gewesen, als sie 1979 ihre Karriere bei den Grünen begann.

Mit Charme, fast phrasenfreier Sprache und zur Not auch in Gummistiefeln begeisterte die Frau im dunklen Rolli und Hosenanzug in nur wenigen Wochen Bauern, Verbraucher und Händler für ihre „Agrarwende“. Doch nun muss sie Ergebnisse liefern – und das wird schwer. Ihre Spielräume sind eng: Die meisten Agrarmittel werden in Brüssel verwaltet – und sind mindestens bis 2002 schon festgelegt. Und selbst über die nationalen Gelder kann die Verbraucherministerin nicht allein verfügen: Über diese „Gemeinschaftsaufgabe“ entscheiden Bund und Länder im Konsens. Zudem zehren Maul-und Klauenseuche (MKS) wie BSE am Budget. Es gilt, die kleinbäuerlichen Betriebe vor dem Bankrott zu retten. „Die Krise bietet nur dann eine Chance“, weiß Künast, „wenn sie nicht in der Katastrophe endet“.

Die Grüne steht vor dem Problem, mit einem Ministerium klarkommen zu müssen, das bis vor kurzem jede Umweltpolitik sabotiert hat. Dass sie auch hier anders als die neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht mit der Machete durch ihre Führungsetage geht, sondern die Ministerialen für ihre Arbeit gewinnen will, spricht für die undogmatische Ministerin. Nur einen einzigen Abteilungsleiter schickte Künast in den Ruhestand.

Das ist auf lange Sicht vernünftig, auf kurze Sicht ein Risiko: Vor allem, weil Künast wie schon Andrea Fischer über wichtige Details von BSE oder MKS, die in ihrem Ministerium möglicherweise übersehen wurden, stolpern könnte. Künast selbst spricht von „einem Minenfeld“. Auf keinen Fall will sie den Fehler Andrea Fischers („Deutsche Wurst ist sicher“) wiederholen. Künast vermeidet solche vorschnellen Entwarnungen.

So könnte Künast zum Glücksfall für die Grünen werden: Anders als der ergraute oberste Diplomat Joschka Fischer kämpft die ehemalige Parteisprecherin ungezügelt für urgrüne Themen. Anders als Umweltminister Jürgen Trittin leidet die Linke nicht an der Schwäche, dem politischen Gegner seine Verachtung zeigen zu müssen.

Sie hat die Öffentlichkeit auf ihrer Seite. Und vielleicht spielte das auch eine Rolle bei ihrer Konfrontation mit dem Agrarkommissar. Im Unterschied zu Berlin wird in Brüssel schon lange über Lösungen der BSE-Krise diskutiert. Das hat die Ministerin angesichts der hiesigen Krisenhysterie für einen Moment aus den Augen verloren. Aber irgendwann musste sie ja einen Fehler machen. MATTHIAS URBACH

Vor sechs Jahren hat sich der Fischler Franz unter die EU-Bürokraten gewagt. Der ehemalige Kammeramtssekretär der Landeslandwirtschaftskammer für Tirol bewegt sich in Brüssel so selbstbewusst, als sei er ins Eurokratenmilieu hineingeboren worden. Dabei hat dem ältesten von sechs Kindern einer Bauernfamilie aus Maria Absam bei Innsbruck sicher kein Engel diese Karriere an der Wiege gesungen.

Oft sieht man den Agrarkommissar mit wirrem Haarschopf durch die Straßenschluchten des EU-Viertels stapfen – Tirolerhut und Krachlederne braucht man sich gar nicht dazuzudenken – auch im grauen Anzug ist Fischler eine urige Erscheinung.

Weiß da einer perfekt das Klischee zu bedienen oder hat er sich wirklich Natürlichkeit und gesunden Menschenverstand inmitten der Eurowelt bewahrt? Ins Formular für die Befragung beim Europaparlament schrieb er im September 1999 unter „derzeit ausgeübte Tätigkeiten“: „Präsident des Tiroler Blasmusikverbandes; Obmann des Vereins der Freunde des Tiroler Volkskunstmuseums“.

Die Abgeordneten suchten damals nach möglichen Interessenkonflikten zwischen den Aufgaben in Brüssel und beibehaltenen Ämtern im Heimatland. Der Sturz der Santer-Kommission steckte allen in den Knochen. Fischler war der Einzige aus der alten Kommission, der unter Romano Prodi sein Ressort behielt.

Im Parlament hatte sich damals längst herumgesprochen, was der Vorsitzende des Agrarausschusses, Graefe zu Baringdorf, auch in der aktuellen BSE-Krise immer wieder betont: Die Betonköpfe, die sich nicht vom Prämien- und Quotensystem verabschieden wollen, sitzen nicht in der Kommission, sondern im Rat. Die nationalen Landwirtschaftsminister sind viel stärker dem Druck ihrer heimischen Bauernlobby ausgesetzt als der Freizeitbauer Fischler.

Und selbst wenn Fischler zu Hause am Stammtisch gefragt würde, wie er denn die Interessen der österreichischen Bauern in Brüssel verteidigt, würde ihn das nicht in Konflikte stürzen. Denn Österreich ist Musterschüler, wenn es um neue Wege in der Agrarpolitik geht. Es nutzt die Möglichkeiten, die die Agenda 2000 anbietet. Fast die Hälfte des österreichischen Agrarbudgets fließt in Strukturmaßnahmen im ländlichen Raum. Die EU beteiligt sich mit fünfzig Prozent an den Projekten.

Ganz anders Deutschland: Da der EU-Gipfel von Berlin beschloss, diese Förderung nur Ländern zu gewähren, die bereits vorher in die Umstrukturierung der Landwirtschaft investiert hatten, erhalten nur Bayern und Baden-Württemberg solche EU-Mittel. In den Bundesländern blieb alles beim Alten.

In den letzten Wochen, als die neue deutsche Verbraucherministerin Renate Künast das Krisenmanagement Fischlers mehrfach als zu wenig konsequent kritisierte, blieb der EU-Profi gelassen. Wenn er zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen Rede und Antwort stand, bot er das Bild eines Mannes, der mit sich im Reinen ist. Lediglich die Sturmfrisur war mit einem nassen Kamm in Façon gebracht – mehr Vorbereitung auf Journalistenfragen schien der Agrarkommissar nicht zu brauchen.

Wenn Künast sein Sieben-Punkte-Programm zur BSE-Krise halbherzig nennt, kontert Fischler, die Deutsche solle doch erst einmal die Reformmöglichkeiten ausschöpfen, die die Agenda 2000 bietet. Da seien die Franzosen viel weiter. Außerdem sei die halbherzige Agrarreform in Berlin unter deutscher Präsidentschaft beschlossen worden. Hätte sich der Rat damals den Kommissionsvorschlag zu Eigen gemacht, hätte das zwar keine Agrarrevolution bedeutet, aber doch die Wende erleichtert.

Auch Franz Fischler ist kein radikaler Reformer. Er will den Agrarsektor nicht dem freien Kräftespiel überlassen und weiteres Höfesterben in Kauf nehmen. Er möchte vielmehr eine klare Trennung zwischen den bäuerlichen Aufgaben, die die Gemeinschaft wünscht und deshalb subventioniert, und einem hoch industrialisierten Sektor, der ohne Subventionen auf dem Weltmarkt bestehen kann. Nur diese Trennung, so betont Fischler unermüdlich, wird garantieren, dass die Subventionen für den ländlichen Raum bei den nächsten WTO-Verhandlungen Bestand haben.

Nach den französischen Wahlen im nächsten Jahr kommt die Agenda 2000 auf den Prüfstand. Dann kann Fischler seine alten Reformpläne aus der Schublade ziehen. Sie dürften Künast gar nicht schlecht gefallen. Im Ministerrat allerdings, daran hat der französische Agrarminister gerade erinnert, genügt eine einzige Gegenstimme, um eine Wende in der Agrarpolitik zu verhindern.

DANIELA WEINGÄRTNER