Nie wieder Einheit! Nie wieder Verbund!

Einheitsgewerkschaft oder Gewerkschaftsverbund? Die Diskussion über die richtige Organisationsform begleitet die deutschen Gewerkschaften seit mehr als 50 Jahren

BERLIN taz ■ Der Streit um die Einheitsgewerkschaft ist so alt wie der Deutsche Gewerkschaftsbund. Drei der fünf Gewerkschaften, die jetzt zu Ver.di fusionieren wollen, haben ihn von Anfang an mitgeführt: Postgewerkschaft, HBV und ÖTV. Die IG Medien ist erst 1985 entstanden, die DAG hat sich 1950 als eigenständige Gewerkschaft gegründet.

Am Anfang der Debatte stand die Erfahrung der Niederlage der uneinigen Zwischenkriegs-Gewerkschaften gegen die Nationalsozialisten. Die Reste der Weimarer Gewerkschaftsbewegung wollten daher eine starke Einheitsgewerkschaft. Die Siegermächte dagegen forderten, aus Furcht vor totalitären Tendenzen, einen föderativen Bund autonomer Gewerkschaften.

Als Übergangslösung entstanden zunächst einzelne Industriegewerkschaften. Als im April 1947 der Deutsche Gewerkschafts-Bund (DGB) für die britische Besatzungszone gegründet wurde, hatten sich die Einzelorganisationen schon so weit konsolidiert, dass als Organisationsform nur noch ein Zusammenschluss selbständiger Gewerkschaften in Frage kam – sehr zur Freude der US-Militärregierung, für die Einheitsgewerkschaften generell nach Kommunismus schmeckten.

Wichtigste Forderungen für den Neuaufbau waren die Demokratisierung der Wirtschaft durch Mitbestimmung, die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum und eine Wirtschaftsplanung nach den Bedürfnissen der Bevölkerung. Sie finden sich im Gründungsprogramm wieder, das sich die 16 westdeutschen Gewerkschaften mit ihrem Zusammenschluss zum DGB im Oktober 1949 gaben.

Dessen Struktur bereitete von Anfang an Probleme: Die Einzelgewerkschaften agierten zum Teil nebeneinanderher oder sogar gegeneinander. Das Prinzip „ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ ließ sich nie verwirklichen: Der öffentliche Dienst etwa wurde außer von der DAG von gleich vier Einzelgewerkschaften des DGB betreut: der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Eisenbahner- und der Postgewerkschaft (GdED und DPG) und natürlich der mächtigen ÖTV.

Seinen großen Erfolg hatte der DGB, als er 1951 die paritätische Montanmitbestimmung durchsetzen konnte. Schon ein Jahr später wurden die Gewerkschaften zurückgedrängt: Das Betriebsverfassungsgesetz schloss sie aus den übrigen Wirtschaftsbetrieben praktisch aus.

Reduzierung der Arbeitszeit, höhere Löhne, soziale Sicherheit, Mitbestimmung und Arbeitsschutz bildeten die Kernpunkte des DGB-Aktionsprogramms von 1955, später erweitert um Bildungschancen und Umweltschutz. Vom antikapitalistischen Tenor des Gründungsprogramms rückte der DGB in den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens ab. Mit der Rezession 1974/75 rückte der Kampf gegen sinkende Reallöhne in den Vordergrund.

Mitte der Achtzigerjahre stürzte die „Dritte technische Revolution“ die Gewerkschaften in eine Krise: Da die Mitarbeiter der neuen High-Tech-Branchen meist fernblieben, drohte der DGB zur „Organisation absteigender Arbeitnehmergruppen“ zu werden.

Die Vereinigung der deutschen Staaten brachte einen neuen, aber kurzen Boom: Als 1991 nach dem Modell der West-Gewerkschaften fünf Landesverbände im Osten gegründet wurden, sorgte der hohe Organisationsgrad der Ost-ArbeiterInnen für einen sprunghaften Anstieg der Mitgliederzahlen und der Finanzmittel. Durch die in der Folge genau so sprunghaft ansteigende Arbeitslosigkeit war der Boom bald wieder vorbei. Ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung ist der DGB von der Kampforganisation für Sozialismus und Arbeitnehmerrechte ein verlässlicher „Sozialpartner und Ordnungsfaktor“ geworden. RALPH WILDNER