Dichte Atmosphären

■ „Stella“ aus HH überzeugten im Schlachthof

Schöner Abend. Regenwetter draußen. Freunde sind da; alles nett, so nett. Angestrengt rauchen zu Beginn, reden, Konzert fängt, wie gewohnt, erst später an. Dabei kam man schon extra spät. Ein paar Beck's und Zigaretten und eine halbe Stunde später, betritt Elena Lange die Bühne, liest einen Text. Das klingt nach Slamvergangenheit. Später Stücke, die eine gewisse Nähe zu musikalisch gut grundierten SpokenWord-Sachen nicht verhehlen. Der Magazinkeller ist deutlich beengter als die neue Reichstag-Glaskuppel, deren Foto das Cover von Stelllas zweitem Longplayer ziert. Der heißt „Finger on the Trigger for the Years to come“. Tourauftakt heute.

„Stella“ wollen viel. Die Jahre, die folgen mögen: Aktuelle (zugleich politische) Partymusik. Gute Laune. Nicht nur das Cover, sondern auch der Sound ist cleaner als auf dem Vorgänger „Extralife“. Das ist Tanzmusik, Alter. Möchte man den Umstehenden zurufen. Manchmal denke ich, hier hat man immer vorweg entschieden: politisch oder tanzbar? Aber auch das löst sich irgendwann. Netter Abend, wie gesagt. Irgendwann stößt einer eine Bierflasche um, die auf dem Boden steht. Dazu Beatgewummer. Der Typ nickt entschuldigend in die Runde und richtet das leere, grüne Gefäß wieder auf.

„Stella“ errechnen derweil höchst unterhaltsam die Quersumme aus politisch-musikalischen Manifestationen der letzten dreißig Jahre. Zu Beginn spielt Sängerin Lange noch Gitarre. Punkrockanklänge, among others. Ob Ozzy Ozbourne eine Frau war? Elena Lange beißt keinen Tauben den Kopf ab. Dafür singt sie schöner. Der erste Teil ist schräger, schrammeliger als das, was folgt. Dann – feiner dramaturgischer Zug, das! – fadet ein Song langsam aus. Und Lange läutet im Duett „Shelter“ mit dem Bandelektroniker Thies Mynther Teil zwei ein. Technozitate, insgesamt äußerst houselastig. Zwischen den Zeilen dezenter 80ies-Elektro-Pop. Irgendwann denkt man, vielleicht wär's doch besser, alles nochmal durchzumixen und die über die Beats schleifenden Melodielinien qua ausladendem Gitarrenriff zu konterkarieren. Aber das würde ein tolles Konzert nur noch überragender machen.

In der Zwischenzeit informiert uns Lange noch eben schnell, dass Robert DeNiro in Bertoluccis „1900“ wie ein Zwölfjähriger aussehe – schrecklich! Ich inhaliere den Rauch deutlich relaxter, jetzt. Dazugekommen ausgiebiges Fußwippen. Die drei Herren der Schöpfung ziehen sich bei „Bad News Entertainment“ Tiermasken über die Frisuren. „Tonight we enter the arena“, singt Mense Reents, der zuvor trommelte. Überhaupt: Einige Songs der neuen Platte hätten durchaus Hitqualitäten. Wenn die Welt besser wäre. Und: ach ja, der Musikmarkt.

Vielleicht kann diese Musik gerade darum sich politisieren, weil sie so gut gelaunt daherkommt. Weil sie Tanzbarkeit und Engagement zusammendenken kann, wie sie in der Lage ist, Liebeslieder wie das elegante „Undo“ völlig unklischiert klingen zu lassen. Insgesamt bestechen „Stella“ durch kompakten Sound, der von Hendrik Webers Bass zusammengehalten wird. Darüber wirbelt Mynther deutlich souveräner als in seinem unfreiwillig komischen Projekt mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. Gut anderthalb Stunden lockerer Facettenreichtum. „Fame is a 4-letter word“. Klar, aber zu bescheiden müssen „Stella“ darum auch nicht werden. Draußen scheint zwar nicht die Sonne. Aber es hat aufgehört zu regnen. Schöner Abend eben. Tim Schomacker