„Partizipation ist entscheidend“

Es macht einen qualitativen Unterschied, ob man mit einem deutschen Veranstalter oder Initiativen vor Ort auf Ökotour geht. Christine Garbe, Sprecherin des tourismuspolitischen Netzwerkes Dante, über Tourismus und Entwicklung der Naturreserven

Interview CHRISTEL BURGHOFF

taz: Die Vereinten Nationen haben das Jahr des Ökotourismus für 2002 ausgerufen. Die Umweltbewegung geht auf Distanz. Kein Grund zur Freude?

Christine Garbe: Doch. Die Potenziale, die damit zusammenhängen, sind erheblich. Zwei Entwicklungen machen uns aber sehr misstrauisch: erstens die Frage, wer eingebunden wird. Das sind bis jetzt überwiegend die Mitglieder der Welttourismusorganisation (WTO), das heißt, es sind die großen internationalen Reiseveranstalter, im Grunde die Tourismusbranche. Zwar sind an den Regionalkonferenzen wie für Afrika oder den asiatischen Raum auch NGO-Vertreter beteiligt, nur: Die müssen alle ihre Kosten selber tragen. Es ist natürlich ein kleiner Unterschied, ob nun der Geschäftsführer einer internationalen Kette Hotelkosten in Höhe von 400 Dollar die Nacht hat oder ob es eine NGO-Vertreterin aus Indien ist. Diese kann sich eineTeilnahme überhaupt nicht leisten.

Kritik an der Durchführung?

Ja. Inhaltlich befürchten wir, dass es darum geht, Regionen stärker auf den Markt zu bringen, die touristisch noch unerschlossen sind, ob es nun im kolumbianischen Urwald ist oder in anderen Gebieten, in denen noch indigene Gemeinschaften leben.

Der Ausverkauf der letzten Naturressourcen?

Das ist unsere Befürchtung.

Inzwischen gilt Tourismus längst als natürlicher Verbündete aller Umweltbemühungen. Im Spiegel meinte etwa Michael Miersch, dass bestimmte Traditionen oder auch Gorillas und Nashörner ohne Tourismus längst ausgestorben wären.

Damit hat er Recht und Unrecht. Die Tourismusindustrie sagt ganz klar: Wir schützen Umwelt, weil die Umwelt unser Kapital ist. Es ist eine Ressource, die es unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu nutzen gilt. Und in diese Richtung geht auch die Nachhaltigkeitsbestrebung der Industrie. Miersch und die Bemühungen der Industrie greifen aber zu kurz. Man muss sich nämlich auch klar machen, dass hier eine Inszenierung von Welten stattfindet. An diesem Punkt haben wir auch ein großes Problem mit den ökologisch orientierten Reiseveranstaltern. Ein Freiburger Reiseveranstalter z. B. wird für seine Projektreisen auf der ITB mit einer Goldenen Palme nach der anderen ausgezeichnet, für Reisen wie den Besuch eines Kinderheimes in Ecuador. Da wird dann das schlechte Gewissen des sozial bewussten Reisenden mit dem Kopftstreicheln eines Kindes abgearbeitet. Darum kann es nicht gehen.

Vielleicht gibt es zu Musealisierungen und Inszenierungen längst keine Alternative mehr?

Natürlich bietet die Inszenierung auch die Chance, etwas zu erhalten, da brauchen wir nur nach Deutschland zu schauen. Ohne den Spreewaldtourismus gäbe es vermutlich die sorbische Tracht, die Sprache nicht mehr. Aber ich sehe die Gefahr in der Tendenz des Tourismus, an die letzten Naturreservate ranzugehen. Alles wird zum Klischee, zur Folklore.

Wer soll die komplizierten Unterschiede zwischen Öko und Öko verstehen?

Das klar zu machen, muss unsere Aufgabe sein. Natürlich macht es für den Reisenden keinen Unterschied, ob er nun nach Vietnam fährt und die Urwaldexpedition mit dem deutschen Veranstalter oder mit lokalen Initiativen macht. Wir müssen aber kommunizieren, wo der Unterschied liegt, nämlich in der eigentlichen Praxis. Mit einem traditionellen Studienreiseveranstalter lerne ich das Land unter einer sehr starken Außenperspektive kennen, wenn ich jedoch mit einem Veranstalter fahre, der vor Ort sitzt und mit lokalen Gemeinschaften zusammenarbeitet, sieht das anders aus. Das fängt schon mit den Unterkünften an, dass ich eben nicht in einem Hotel absteige, sondern bei Familien in Guest Lodges wohne. Das ist ein qualitativer Unterschied.

Werden durch solchen Ökotourismus nicht die sozialen Gegebenheiten vor Ort überfordert?

Wenn man das nicht zusammen mit den Leuten vor Ort ausarbeitet, ist das mit Sicherheit der Fall. Ich muss über die Konfrontation der verschiedenen Kulturen mit den Leuten vor Ort Gespräche führen. Etwa darüber, was es überhaupt bedeutet, Europäer, die einen extrem luxuriösen Standard gewöhnt sind und eine ziemliche Anspruchs- und Konsumhaltung haben, jetzt in eine private Umgebung zu bringen, die völlig andere Lebensqualitäten hat. Das ist ein sehr sensibles Feld. Schon aus diesem Grund kann dies gar nicht durch die Reisebranche organisiert werden. Das kann im Endeffekt nur aus der Region heraus entwickelt werden.

Was kann man von hier dazu beitragen?

Konkret wollen wir es schaffen, dass bestehende Ansätze wie beispielsweise die Umweltinformationen bei der TUI in den Katalogen weiter gefasst werden und dass vielleicht auch in Zusammenarbeit mit den lokalen Entscheidungsträgern andere Tourismusstrukturen vor Ort aufgebaut werden. Das andere ist die Frage, wie ich den Reisenden sensibilisiere. Wir haben bislang nicht die Kommunikationsmöglichkeiten gefunden, ihn bei seinem Nerv zu treffen.

Die Jugend von heute gähnt, wenn sie Öko hört.

Es muss lebendiger rüberkommen. Wir müssen sinnlicher rangehen. Keine moralischen Apelle, denn es geht um Erlebnisse, um Empfindungen und in gewisser Hinsicht, weil Tourismus Inszenierung ist, auch um Träume. Wir Reisenden haben den Wunsch nach einem authentischen Erlebnis. Dieser Wunsch ist legitim.

Wie muss denn die Natur beschaffen sein, damit sie den Wünschen entspricht?

Bildlich gesprochen: weniger möbliert und funktionalisiert. Die Schutzbestrebungen der letzten Jahre waren sehr institutionalisiert. In den Wanderregionen haben wir Parkbänke, Beschilderung, Karten und dreitausend Hilfsmittel, um sich in der Natur zurecht zu finden. Aber diese Hilfsmittel bewirken doch nur, dass ich mehr mit denen beschäftigt bin als mit dem, was ich gesucht habe, die Natur. All das ist zwar gut gemeint, aber es bewirkt eine weitere Entfremdung.

Stirbt mit der Generation der Umweltbewegten von heute auch der Biotopschutz aus?

Eher nein. Es gibt immer wieder eine Sinnsuche . . . Und es gibt ein bestimmtes Bestreben zurück zu den Wurzeln, die die Menschheit ausmachen. Man sucht bestimmte Qualitäten, die man aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung verloren glaubt.

Geht es dabei um die Steigerung des eigenen Empfindens?

Die neuen Selbsterfahrungstendenzen werden sicher in Zukunft zunehmen. In Form sinnlicher Wahrnehmung und Erlebnisse. Auch das Gesundheitsbewusstsein nimmt zu, das Körperbewusstsein, das ästhetisches Bewusstsein. Die sportlichen und aktivitätsbezogenen Sachen im Tourismus und der Freizeit sind die eine Seite. Das andere ist, sich selber wieder spüren zu lernen.

Natur als Heilungsraum?

Ja.

Und wie geht man weltweit mit dem Druck auf die Restnatur um?

Wie ich diesem wachsenden Druck auf die Landschaft anders als mit dem Institutionen-Flächennaturschutz entgegengewirkt werden kann, weiß ich nicht. Ein Problem ist auch unsere eurozentrische Sicht. Wir unterstellen, dass vor Ort nicht die Lösungspotenziale existieren. Wir denken, wir sind diejenigen, die wissen, wie Probleme zu lösen sind. Ein Trend im so genannten anderen Tourismus bilden jetzt die Community-based-Projekte, die sowohl vor Ort entwickelt werden, aber auch von großen Institutionen wie der GTZ in die Regionen hineingetragen werden. Wenn dann die Mittel aufgebraucht sind und die GTZ wieder rausgeht, dann ist im Grunde auch der gesamte regionalwirtschaftliche Effekt weg.

Wir geben also vor, was gemacht werden soll, auf der Basis unseres Lebensstils?

Ja. Deswegen müssen wir viel stärker die Sicht der politischen Bewegungen in den Reiseregionen einbinden, viel stärker zusammenarbeiten.

Wie sieht die internationale Tourismusdebatte denn aus?

Die gesamte Debatte seit Rio 92 und die vielen Papiere, die seither verabschiedet worden sind, sind lasch und inhaltsleer. Da sitzen Initiatoren der Wirtschaft und kommunale Entscheidungsträger zusammen, die sich aus der Förderung des Tourismus auch natürlich politischen und finanziellen Erfolg erhoffen. Korruption im Tourismus ist ein entscheidendes Thema. Wenn lokale Entscheidungsträger, Vertreter der Wirtschaft die und die NGOs innerhalb einer zweiwöchigen Konferenz gefordert sind, einen Kompromiss zu finden, dann können sie nur den kleinsten gemeinsamen Nenner finden und propagieren dann die abslolute Hohlfloskel als die grandiose internationale Richtlinie.

Was müsste passieren?

Partizipation ist entscheidend. Dass nämlich Strukturen aus der Region heraus geschaffen werden, mit denen eine Diskussion herbeigeführt wird. Nämlich zu der Frage: Was wollen wir durch Entwicklung in unserer Region erreichen? Wo kann uns Tourismus nutzen, und wo kann er uns schaden?

Wer redet heute noch die über die Begrenzung des Wachstums im Tourismus und die klimaschädigenden Wirkungen des Fliegens?

Die Wachstumsfrage beim Ausbau von Hotelkapazitäten ist bei den Politikern vor Ort angekommen. Wenn wir uns das brandaktuelle Beispiel Mallorca ansehen, dann geht es jetzt sogar darum, zurückzubauen. Aber diese Strategie zieht überhaupt nicht in einer Region, die inzwischen zu 80 Prozent von touristischen Einnahmen abhängig ist wie Mallorca und wo im Endeffekt die Entwicklung der der Insel von Reiseveranstaltern, in diesem Fall der TUI, bestimmt wird. Und solange die Reiseveranstalter nicht zumindest unterstützen, was die Politik vor Ort inzwischen erkannt hat, wird überhaupt nichts passieren. Das gleiche Problem haben wir jetzt auf Mallorca mit der so genannten Ökosteuer. Es gab zwar ein Gesetz für die geplante Umweltabgabe, das aber unter anderem auf Grund des Aussitzens der Reisewirtschaft vor dem Europäischen Gerichtshof gelandet ist. Nun wird dagegen geklagt.

Auch der Flugreisemarkt wächst ungebremst weiter. . .

Solange die Angebote, vor allem die Flugreisen, so billig auf den Markt geschmissen werden, solange ist auch der Reisende bestechlich. Hier kann man einfach nur einfordern, dass seitens der Politik mal endlich der Mut aufgebracht wird, einen Alleingang zu wagen, dass beispielsweise in Deutschland die indirekte Subventionierung des Flugverkehrs aufgehoben wird.

Verbote sind out. Keine harten Worte mehr?

Die Gegenbewegung im Tourismus ist nicht homogen. Die einen fahren die Strategie der Mitwirkung am Geschäft der internationalen Konferenzen, um ihre Inhalte hineinbringen zu können. Allerdings werden sie unfrei in ihren Positionen, wenn sie bei diesen zentralen politischen Prozessen auf internationaler Ebene auch zum Vertreter für ihre Regierung werden. Unsere Position muss sein zu sagen, o. k. Leute, internationale Konferenzen zum Tourismus finden wir prima, aber nicht mit diesen Wischiwaschiformulierungen. Wir müssen diese Prozesse kritisieren und aufdröseln. Und dazu braucht es harter und ehrlicher Worte.

Welche Art Umweltschutz spricht Touristen denn an?

So blöd es klingt: Mitmachen. Etwa diese Müllsammelaktionen an Stränden und so, die kommen gut an. Das heißt im Endeffekt: Die Folgen der Umweltbeeinträchtigung müssen richtig deutlich, wahrnehmbar gemacht werden. Wenn ich beispielsweise immer nur über Müll rede und nicht mal den Urlaubern auf Mallorca den Haufen leerer Flaschen, die sie verursachen, vor die Füsse kippe . . . das ist natürlich auch eine harte Ansprache, aber eine ganz andere.

Die sinnlichere Seite?

Ja. Das ist freundlich ausgedrückt.