: Heller als tausend Sonnen
Brands, not products – mit dem Castor-Transport rollt auch die Marke Gorleben wieder
Es ist ein großes Glück: Bald wird wieder Atommüll durch Deutschland transportiert. Nach der Globalisierung der Widerstandskultur im Anschluss an den legendären „Battle of Seattle“ im Jahre 1999 und die gewaltsamen Proteste gegen die Tagung des Weltwirtschaftsforums in Davos, die sich nur mit Satellitentelefonen, verschlüsselten E-Mails und relativ großen Reisekosten bewältigen ließen, kann man sich jetzt wieder im eigenen Land auf die Schienen legen. Eine druckimprägnierte Bahnschwelle ist bekanntlich das bequemste Ruhekissen.
„Der Castor rollt“, ruft es darum derzeit begeistert aus allen Ecken, und mit dem Transport rollt gleich eine eine ganze Epoche auf uns zu. Neben den ausgebrannten Brennstäben im Container liegen die glamourösen Reste der Achtzigerjahre und warten darauf, von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und anderen engagierten Streitern für die ewige Wiederkehr des Gleichen befreit zu werden.
Besonders schön ist, dass so auch ein bereits vergessenes Symbol neu zu entdecken ist: der gelbe Kreis mit der roten Sonne und dem höflichen, wenn auch unmissverständlichen Hinweis „Atomkraft? Nein, danke!“ Heller als tausend Sonnen leuchtete das aus diesen Aufklebern zusammengesetzte Ornament, das sich einst auf Kinderwagen, Schultaschen und den Heckscheiben der Autos durch die Republik zog. In seiner farblosen Variante fand es seine Fortsetzung sogar noch auf den leider noch nicht wieder in Mode gekommenen Jutetaschen.
Ergänzt wurde diese Serie durch die nicht weniger plakative Friedenstaube – und durch sprachliche Variationen: „Kernenergie? Nee bedankt!“ stand dann in Holländisch unter der Sonne. Besondere Aufmerksamkeit erregten Übesetzungen des Slogans ins Dänische. Globalisierung war in den Achtzigern eben noch eine Frage des Distinktionsgewinns und nicht der Eingemeindung in die gesichtslosen Masse des postmodernen Widerstands, die passenderweise in Subcomandante Marcos, dem maskierten Führer der Zapatisten, einen ihrer Führer sieht.
Wenn in diesen Tagen Naomi Klein als Vordenkerin des neuen Protestes in ihrem Buch „No Logo“ von der „Tyrannei des Brandings“ schreibt und zum Widerstand gegen die Zeichen der internationalen Konzerne aufruft, sollte man dabei also nicht vergessen, dass eine der beständigsten Marken in den Achtzigerjahren von ihren älteren Geschwistern durchgesetzt wurde. Es ist eine Marke, die Gesicht zeigt: das lächelnde Gesicht einer Sonne. KOLJA MENSING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen