Blutiges Ende einer Entführung

Verkleidete saudi-arabische Soldaten stürmen das von Tschetschenen entführte russische Passagierflugzeug in Medina. Die Aktion fordert drei Tote und wird den russischen Krieg in Tschetschenien voraussichtlich überhaupt nicht beeinflussen

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Die Entführung einer russischen Chartermaschine aus Istanbul nach Saudi-Arabien ist gestern nach 22 Stunden blutig beendet worden. Saudische Sicherheitskräfte, als Reinigungspersonal verkleidet, stürmten die auf dem Flughafen der Stadt Medina geparkte Maschine und töteten dabei einen Entführer, eine Stewardess und einen türkischen Passagier. Die Entführer, nach bisherigen Informationen vier Tschetschenen, hatten gefordert, dass die Kampfhandlungen in Tschetschenien eingestellt werden, dass die russische Regierung Gespräche mit tschetschenischen Vertretern aufnimmt und dass Medienvertreter in das Flugzeug kommen, um sich ein Video über den Krieg anzuschauen.

Die Chartermaschine der kleinen russischen Airline Vnukowo, die täglich zwischen Moskau und Istanbul pendelt und hauptsächlich von Kleinhändlern genutzt wird, war am Donnerstagmittag gestartet und kurz danach von einem tschetschenischen Kommando in seine Gewalt gebracht worden. Die Entführer waren mit zwei Messern bewaffnet und sollen mit einer Bombe gedroht haben. Die Maschine flog nach Saudi-Arabien. Der Flughafen von Medina wurde gewählt, weil die Stadt für Nichtmuslime gesperrt ist und die Entführer deshalb davon ausgehen konnten, dass dort kein russisches Anti-Terror-Kommando auftauchen würde. Bis vor wenigen Tagen war der Flughafen von Medina noch völlig mit Pilgern auf dem Heimweg von den heiligen Städten in Medina und Mekka überfüllt.

Sofort nach der Landung wurde die Maschine in eine abgelegene Ecke des Flughafens dirigiert und von saudischem Militär umstellt. Die Entführer erhielten ein Funksprechgerät. Sie forderten, dass die Maschine aufgetankt und ein Luftkorridor nach Afghanistan frei gemacht wird. Dabei erreichten die Saudis zunächst, dass die Entführer im Gegenzug für das Auftanken 40 ihrer 162 Geiseln frei ließen. Dem Pilot gelang es außerdem, das Cockpit von innen zu verschließen, so dass er ungestört mit dem Krisenstab in Moskau kommunizieren konnte. Russlands Regierung setzte die Saudis offenbar massiv unter Druck, um einen Weiterflug der Maschine nach Afghanistan zu verhindern. Dort hätte Moskau keinerlei Einfluss mehr gehabt.

Die Entführer verfolgten ein klares politisches Ziel: Die Weltöffentlichkeit sollte an den blutigen Krieg in Tschetschenien erinnert werden, der bis heute jeden Tag neue Opfer fordert. Eine tschetschenische Sprecherin, Atfaya Fariza, bestätigte in Jordanien, dass der Führer des Kommandos der frühere tschetschenische Innenminister Artasayav Aslambik ist. Von den übrigen Dreien sei einer entweder sein Sohn oder ein anderer naher Verwandter.

Aslambik, der in Tschetschenien mehrfach verletzt worden ist, war in der Türkei zur medizinischen Behandlung. Moskau hatte sich früher schon darüber beschwert, dass die Aufständischen in der Türkei Unterschlupf fänden. Bisher hält sich Moskau jedoch mit Vorwürfen an die türkische Adresse zurück.

Anfang der Neunzigerjahre wurden bereits zweimal russische Flugzeuge von der Türkei aus entführt. Spektakulär war die Entführung der Schwarzmeer-Fähre „Avrasja“ 1996 durch ein tschetschenisches Kommando, das den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien erzwingen wollte. Angeblich war auch einer der jetzigen Entführer daran beteiligt.