berliner szenen
: Die ehrlichen Ostjeans

Einkaufen

Der beneidenswerteste Mann im deutschen Fernsehen ist für mich momentan Andreas Türck. Er hat nämlich jeden Tag andere Sachen an. Wenn man davon ausgeht, dass er sie sich nicht selbst kaufen muss, dann hat er wirklich eine Sorge weniger.

Vor kurzem war ich wieder einmal fest entschlossen, mein Leben umzukrempeln und mir eine neue Hose zu kaufen, mal etwas ganz anderes. Sie sollte blau und ausgewaschen sein, nach ehrlicher Arbeit aussehen, unordentlich genug für die Disco und ordentlich genug für Podiumsdiskussionen. Ich wollte mich unauffällig im Geschäft umsehen, aber das geht ja heute nicht mehr. Die Verkäuferin sprach mich sofort an, und jetzt begann das alte Spiel. Sie ahnte nicht, dass ich, einmal ins Gespräch verwickelt, schon nicht mehr nein sagen kann. Je unprofessioneller sie sich anstellte, umso mehr würde ich mich verpflichtet fühlen, ihr etwas abzukaufen. Zumal die Chefin uns die ganze Zeit im Auge hatte. Ich war nämlich fast der einzige Kunde.

Ich erklärte dem Mädchen die Farbe, und sie holte etwas sehr traurig Aussehendes hervor, etwas, was ich lange nicht mehr gesehen hatte: eine Ostjeans. Wie hatten sie das hinbekommen? Ich schreckte unwillkürlich zurück, und sie sah mich ängstlich an. Wie sollte ich ihr meine Reaktion erklären? „Nicht ganz so ostig vielleicht“, hätte ich spontan gesagt, aber sie war zu jung, um das zu verstehen. Ich probierte alle blauen Farbtöne durch, es war niederschmetternd, sich so im Spiegel zu sehen.

So kränklich und trübe hatte ich mich gar nicht in Erinnerung. Der Pullover war doch erst vier Wochen alt. Mit den neuen Hosen sah er aus wie aus dem Müll. Die Verkäuferin sagte nicht: „Sieht doch toll aus!“ So professionell war sie wie gesagt nicht. Inzwischen tat sie mir schon leid. In der Nachbarkabine unterhielten sich zwei Schülerinnen: „Die Hose bezahlen mir meine Eltern, den Pullover ooch, die Schuhe muss ick selber. Bei meine Eltern sieht ditt jeldmäßig grad jut aus. Warum soll ick davon nich profitieren?“

Im Hintergrund lief die Tocotronic-Remix-Platte von Console. Ich fragte die Verkäuferin: „Ist das nicht die Tocotronic-Remix-Platte von Console“ – „Was? Nee, die is gebrannt.“ – „Ach so, die ist nicht von dir.“ – „Nee. Willst du vielleicht mal was Moderneres probieren?“ – „Was heißt denn moderner?“ – „Na, mit hier an den Knien was rangenäht und unten weiter.“ – „Mit Schlag?“ – „Nee, kein Schlag, nur weiter.“

Ich probierte „was Moderneres“, aber es half nichts. Am Ende einigten wir uns doch wieder auf eine unmoderne schwarze Hose, meine fünfundzwanzigste von der Sorte. Es hatte wieder nicht geklappt mit dem Imagerelaunch, und ich musste mir eingestehen, dass es nicht mehr nur an den Jeans zu liegen scheint, sondern auch an mir. Bei Jeans, bei denen die erste Zahl größer ist als die zweite, ist die Auswahl eben nicht so groß. An der Kasse lag dann das modernste vom modernen: Dosenschlüpfer. Seine Unterwäsche zu Hause in Dosen aufzubewahren, wäre sicher bei manchen nicht unangebracht, aber sie gleich darin zu kaufen?

JOCHEN SCHMIDT