GUIDO WESTERWELLE GEHT MIT NATIONALPOPULISMUS AUF STIMMENFANG
: Unanständige Bauernfängerei

Manche Leute sind stolz auf ihre blonden Haare. Das ist irrational, aber wenn’s die Laune hebt – warum nicht? So lange Rotschöpfe nicht darunter zu leiden haben, lässt sich wenig dagegen sagen. Wenn allerdings die Hersteller von Tönungsmitteln diesen Stolz für überaus berechtigt, ja sogar für notwendig erklärten, dann wäre deren Motiv wohl kaum irrational. Sondern einfach eine besonders unanständige Form der Bauernfängerei.

Der designierte FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat eine Debatte über das Nationalverständnis gefordert. Bundespräsident Johannes Rau ist von ihm angegriffen worden, weil dieser meint, man könne nicht allein auf die Tatsache stolz sein, Deutscher zu sein. Westerwelle ist nicht dumm. Er dürfte nicht ernsthaft glauben, der Zufall des Geburtsortes sei Anlass zu individuellem Stolz. Warum vertritt er dann einen so albernen Standpunkt? Aus zwei Gründen: Zum einen hat er Angst vor der eigenen Courage bekommen. Zum anderen weiß er den Zeitgeist einzuschätzen.

Bundespräsident Gustav Heinemann hat einmal gesagt, er liebe nicht sein Vaterland, sondern seine Frau. Das fanden damals viele sehr sympathisch. Heute müsste Heinemann mit Rücktrittsforderungen rechnen – nicht etwa deshalb, weil Politiker ihr Land tatsächlich ebenso liebten wie ihre Lebenspartner. Sondern weil sie mittlerweile glauben, mit einer solchen Behauptung erfolgreich auf Stimmenfang gehen zu können. Leider.

Es ist wahr, dass Nationalstolz vielerorts von einem großen Teil der Bevölkerung für selbstverständlich gehalten wird. Wäre es nicht wunderbar – und sogar Anlass zu Stolz – wenn Deutschland nach Auschwitz vorlebte, dass es auch anders geht? Nationalismus ist nicht dasselbe wie Nationalstolz, aber der eine kann dort keine Kraft gewinnen, wo der andere nicht als identitätsstiftend gilt. Rechtsextremismus speist sich aus der Mitte der Gesellschaft, nicht von ihren Rändern her.

Guido Westerwelle hat in den letzten Jahren für eine liberale Gesellschaft gestritten. Jetzt hat er Angst bekommen. Wenn die FDP bei den kommenden Landtagswahlen schlecht abschneidet, dann könnte seine Palastrevolution gegen den bisherigen Parteivorsitzenden Wolfgang Gerhardt noch in letzter Minute scheitern. Das scheint für Westerwelle auszureichen, um seine bisherigen Prinzipien – er hatte durchaus welche – zu verraten. Warum sollte man ihn dann wählen? BETTINA GAUS