nebensachen aus washington
: Hauptstadtatmosphäre unter Bush

Unbeweisbare Ebbe

Morgens, auf dem Weg zum Gym im jüdischen Gemeindezentrum an der Q Street, läuft mir meine Bekannte Rachel über den Weg. „Na, wie lebt sich’s unter George W. Bush?“, frage ich. „Weniger Cowboystiefel als ich gedacht hätte“, antwortet Rachel. Wir philosophieren ein paar Minuten lang über das Thema „Wenn man einen Republikaner nicht mal mehr an seinem Schuhzeug erkennt, woran denn dann?“

Fieberhaft sucht die US-Hauptstadt nach Anzeichen für ihre eigene Bushifizierung.

Seit der Texaner vor sieben Wochen im Weißen Haus einzog, herrscht in Washington permanente Stimmungsebbe, als hätte jemand den Mond programmiert, um die Gezeiten abzuwandeln.

Ein Retro-Trend liegt in der Luft, doch Beweise dafür sind ebenso schwer zu finden wie ein Stetson-Hut.

Denn auch unter Bush werden am Dupont Circle oder in Adams Morgan weiter Lokale mit kosmopolitischem Flair eröffnet. Die Taxifahrer trinken immer noch Cappuccino, und in der Kult-Fernsehserie „West Wing“ heißt der Präsident nach wie vor Bartlett und ist dem Drehbuch zufolge Demokrat.

Freitagabend in „La Ferme“, einem französischen Lokal im bürgerlichen Vorort Chevy Chase. Ein bulliger Endvierziger im blauen Blazer mit Goldknöpfen verspeist sein Chateaubriand, seine toupierte Begleiterin stochert in ihrem Salat. „Garantiert Republikaner“, raunt mir meine ehemalige Kollegin Sarah zu: „Irgendwie sind sie spießiger, langweiliger, sturer.“ Wir behelfen uns mit alten Klischees. Anders als Bill Clinton, der öfters mal in Trend-Restaurants in Washington auftauchte, relaxen Bush und seine Familie in den Vororten. Wer viele Republikaner auf einem Haufen sehen will, muss schon ins Umland fahren, nach Virginia oder nach Maryland.

In den zentralen Stadtbezirken leckt unterdessen die links-alternative Szene ihre Wunden. In den Wohnzimmern und Küchen liebevoll restaurierter Stadthäuser wird die Wahlniederlage von Al Gore endlos seziert. Housepartys, bei denen Gleichgesinnte zusammenkommen, erfreuen sich ungeahnten Zulaufs. „Nur George W. Bush wirst du bei uns nicht finden“, lästert David, der über einen E-Mail-Verteiler alle drei Monate Bekannte und Fremde zum Brunch einlädt.

David und seine Freunde sind zuversichtlich, die nächsten vier Jahre ohne großen Schaden zu überstehen. Schließlich gibt Dan Savage im „City Paper“ weiter seine respektlosen Sex-Tipps.

Einen handfesten Anlass zur Sorge um unseren lieb gewordenen Alltag könnten uns nur die Mittwochabende liefern. Immer häufiger ist in „West Wing“ davon die Rede, dass sich Präsident Bartlett bald seiner Wiederwahl stellen muss. Schwenkt Hollywood etwa ein, um den Regierungswechsel auch im Fernsehen zu vollziehen? Wenn erst ein Republikaner in der Studiokulisse des Weißen Hauses das Sagen hätte, dann wäre der Gezeitenwechsel in Washington perfekt.

ELLY JUNGHANS