Der Zeuge spricht, die Else schweigt

Donnerstag beginnt der letzte große Prozess gegen die Revolutionären Zellen. Drei Männer und eine Frau müssen sich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und zwei Anschlägen verantworten. Verhandlung bis August angesetzt

von HEIKE KLEFFNER
und WOLF-DIETER VOGEL

Das Urteil der Juristen beim Strafverteidigertag vor zwei Wochen fiel eindeutig aus. Die Gefahren der bestehenden Kronzeugenregelung seien „Denunziationen, Falschaussagen, Erpressungen“. Das entsprechende Gesetz sei verfassungswidrig, die vom Bundesjustizministerium geplante Ausweitung der bestehenden Regelungen unerwünscht.

Inwieweit diese Kritik auch auf das Verfahren gegen vier mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) zutrifft, davon kann sich die Öffentlichkeit ab Donnerstag selbst ein Bild machen. Fünfzehn Monate nach der Festnahme der vier Angeklagten soll nun vor dem Kammergericht Berlin der so genannte Revolutionäre-Zellen-Prozess beginnen. Für Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck steht fest: „Wir werden tun, was wir können, um die Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli so zu entkräften, dass auf diese Angaben keine Verurteilung gestützt werden kann.“ Denn fast ausschließlich auf die Aussagen Mouslis stütze die Bundesanwaltschaft (BAW) den Vorwurf gegen Kalecks Mandanten Matthias Borgmann sowie Sabine Eckle, Harald Glöde und Axel Haug, sie seien in den RZ aktiv gewesen.

Die vier sollen sich an militanten und bewaffneten Aktionen zweier Berliner RZ-Gruppen beteiligt haben. Zwischen 11 und 15 Monate sitzen sie schon in Untersuchungshaft, zwei weitere Beschuldigte hingegen sind auf freiem Fuß. Der Exberliner Lothar Ebke, der Mitte der Neunzigerjahre Deutschland verließ, wartet im kanadischen Yellowknife auf sein Auslieferungsverfahren. Ein kanadisches Gericht wird sich am 22. Mai mit den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft befassen. Und Rudolf Schindler wurde vor wenigen Wochen vom Landgericht Frankfurt am Main von dem Vorwurf freigesprochen, am Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz im Jahr 1975 beteiligt gewesen zu sein, und auf freien Fuß gesetzt. Dabei soll sich der 58-Jährige, so will die Bundesanwaltschaft vom Kronzeugen Mousli wissen, maßgeblich an RZ-Aktionen der Achtzigerjahre beteiligt haben.

„Für freies Fluten“

Im Rahmen einer Flüchtlingskampagne „Für freies Fluten“ hatte die Gruppe damals bundesweit Gerichte, Ausländerbehörden und andere Objekte als Anschlagsziele auserkoren. Auch in Berlin. Hier wurde im Oktober 1986 der Leiter der Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, durch Schüsse verletzt. Im September 1987 schossen Unbekannte auf Günter Korbmacher, Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht.

Zwar ist der Vorwurf der schweren Körperverletzung in beiden Fällen verjährt, dennoch gelten die Aktionen der BAW als Beweis für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Bis heute strafrechtlich relevant sind zwei Sprengstoffanschläge: Im Februar 1987 explodierte an der Außenmauer der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Wedding ein Sprengsatz, der geringen Schaden verursachte. Knapp vier Jahre später, im Januar 1991, wollte eine Revolutionäre Zelle die Viktoria von der Siegessäule sprengen. Auch diese Aktion endete eher bescheiden: die „Goldelse“ blieb auf ihrem Sockel.

Der Kronzeuge

Was die Angeklagten mit diesen Angriffen zu tun haben, soll der Erste Senat des Kammergerichts nun herausfinden. 31 Verhandlungstage sind bislang angesetzt. Bis zum 17. August wollen die Richter jeden Donnerstag und Freitag tagen. Offenbar rechnet man mit großem Andrang: Der Prozess wurde vom Schöneberger Kammergerichtsgebäude in das Moabiter Landgericht verlegt, „weil hier mehr Platz ist“, wie eine Gerichtssprecherin erklärt. In den ersten Wochen werden die Verlesung alter Urteile gegen die RZ sowie die Aussagen von Beamten des Bundeskriminalamts das Verfahren bestimmen. Erst Mitte bis Ende April soll die „zentrale Auskunftsperson“, wie Bundesanwaltschaftssprecher Hartmut Schneider den Kronzeugen nennt, erscheinen.

Spätestens seit Mousli im November 1999 verhaftet wurde, berichtete er den Ermittlern ausführlich darüber, was er vom Innenleben der RZ wissen will: Etwa über jenes angebliche RZ-Depot im Kreuzberger Mehringhof, wo der damalige Hausmeister Axel Haug Waffen und Sprengstoff versteckt haben soll. Oder über seinen ehemals guten Freund Lothar Ebke, mit dem zusammen er zu den RZ gekommen sein will. Bevor der 41-jährige Karatelehrer so ausgiebig erzählte, waren in einem von ihm angemieteten Keller Spuren von Sprengstoff gefunden worden, den die Ermittlungsbehörden den RZ zurechnen. Auch eine ehemalige Lebensgefährtin hatte Tarek Mousli schwer belastet. Für ihn offenbar Grund genug, sich mit Hilfe der Kronzeugenregelung eine geringere Strafe zu verschaffen. Dass er einen Teil seiner Aussagen erst machte, nachdem das umstrittene Gesetz zumindest in Bezug auf „Terrorismus“-Delikte zum Jahresende 1999 ausgelaufen war, störte die Strafverfolger nicht.

Im Gegenteil: Als Mousli im eigenen Prozess im Dezember letzten Jahres alle Beschuldigungen vor Gericht wiederholte, vergütete das Kammergericht seine Bereitschaft zur Kooperation mit einem außergewöhnlich milden Urteil: zwei Jahre Haft auf Bewährung. Bereits im April 2000 war Mousli aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Seither sorgt das Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts für eine gesicherte Existenz: Monatlich überweisen die Wiesbadener 2.400 Mark plus Miete, Krankenversicherung, Mietwagen und Telefon.

Rechtsanwalt Kaleck bewertet den Prozess gegen Mousli als „eine Farce“. Zwar sei es nicht ungewöhnlich, dass Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht vorab Absprachen treffen, so Kaleck. „Aber dann führt man die Hauptverhandlung in zwei Stunden durch und gibt dem Ganzen nicht den Anschein, als ringe man fünf Tage darum, die Wahrheit herauszufinden.“ Tatsächlich machten sich die Prozessbeteiligten wenig Mühe, Widersprüche in Mouslis Aussagen zu überprüfen. So ging man darüber hinweg, was seine Exfreundin mehrmals vor Gericht bestätigt hatte: Mousli habe ihr gegenüber behauptet, bei einer der Aktionen geschossen zu haben. Er selbst behauptet, dass immer Schindler der Schütze der Berliner RZ gewesen sei.

Auch andere Widersprüche hat der Kronzeuge bisher nicht erklärt. So soll die Gruppe nach seinen Angaben Informationen für ihre militante Flüchtlingskampagne über Borgmann bekommen haben. Der Angeklagte, der vor seiner Verhaftung als Leiter des Akademischen Auslandsdienstes der Technischen Universität beschäftigt war, soll über seine Arbeitsstelle an Interna gelangt sein. Borgmann war zum Zeitpunkt der Aktionen aber noch gar nicht in dieser Funktion tätig. Auch nach jenem Waffenlager, das die RZ im Mehringhof angelegt haben soll, suchte die Polizei vergeblich.

Obwohl sich für Rechtsanwalt Kaleck die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen daher in Grenzen hält, vertrauen die Ankläger auf Mousli. Dabei musste die Frankfurter Staatsanwaltschaft erst vor wenigen Wochen die Erfahrung machen, dass die Angaben des Kronzeugen Hans-Joachim Klein für eine Verurteilung von Rudolf Schindler nach Meinung der Richter nichts hergaben. Ob Schindler nun ein zweites Mal wegen RZ-Mitgliedschaft angeklagt werden darf, muss derzeit der Bundesgerichtshof entscheiden. Skepsis auch in Frankreich: Die französischen Behörden lehnten es ab, die ebenfalls von Klein der Teilnahme an der Wiener Opec-Aktion beschuldigte Sonja Suder nach Deutschland auszuliefern. Schon kurz nach ihrer Verhaftung im Januar letzten Jahres konnten Suder und ihr Lebensgefährte Christian Gauger das Gefängnis verlassen, nachdem sie eine Kaution von rund 3.000 Mark hinterlegt hatten.

Die Berliner Angeklagten sitzen jedoch bis heute in Untersuchungshaft. Dabei gehe es doch in dem RZ-Verfahren, wie Anwalt Kaleck kritisiert, „um eine Gruppe, die sich selber aufgelöst hat“. Seine Vermutung: „Man will die Leute mürbe machen, um vielleicht aus dem einen oder der anderen noch ein Geständnis herauszuholen, das die weiche Mousli-Aussage stützen könnte.“