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: Von der Bibel zur Pornografie ist es manchmal nur ein kleiner Schritt

Raffiniert Schmuddelromantisches

Zweifelsohne hat kaum ein Stück Literatur seine Verhörbuchung mehr verdient als die Heilige Schrift. Als Buch im traditionellen Sinn ist sie trotz der Erfindung des Dünndrucks bis auf den heutigen Tag nicht nur ein unhandlicher, schwer unübersichtlicher Brocken geblieben – sondern sie ist auch, mehr als jeder andere Text, explizit zum Vorlesen, Rezitieren, Agitieren, kurz: mit Blick auf die orale Praxis, Propaganda, p.p. geschrieben und vice versa natürlich teilweise nichts anderes als die schnörkellose Verschriftlichung immer wieder mündlich weitererzählter Geschichten und Anekdoten. Entsprechend wird niemand leugnen, dass den Testamenten über weite Strecken der Charakter des Notizzettelhaften und Redeskriptuösen eignet, über die der begabte Sprecher, oder vielmehr: Prediger, idealerweise mit Einfühlungsvermögen, Fantasie und einer gewissen histrionischen Geschmeidigkeit, am besten der eines Tarantino-Darstellers, zu improvisieren vermag. Und dann natürlich: die tatsächliche Unlesbarkeit der Bibel. Als Nicht-Zeuge-Jehovas gerät man ja kaum in die Verlegenheit, partout die guten Nachrichten komplett lesen zu wollen, und zwar, wie jedes ordentliche Buch, von vorne nach hinten.

Um es nicht gleich, sondern endlich zu sagen: Sie können die Bibel als Hörbuch kaufen. Komplett und halbwegs günstig. Das ist völlig selbstverständlich und überrascht Sie jetzt nicht ernsthaft. Aber! Sie werden überrascht sein, womöglich eine Art Retro-Trend vermuten, wenn Sie in einem halbwegs gut sortierten Buchladen die Bibelabteilung innerhalb der Hörbuchecke konsultieren. Noch verblüffter werden Sie sein, wenn Sie feststellen, dass sich die Rubriken „Christliche Erbauung“ und „Erotik bis Pornofonie“ nicht nur in nächster Nachbarschaft befinden, sondern gewissermaßen überlappen!

Um die Heilige Schrift dem heutigen Käufer nahe zu bringen, haben sich nämlich die HörbuchverlagslektorInnen raffiniert Schmuddelromantisches einfallen lassen. Die Schauspielerin Anna Thalbach beispielsweise spricht das großartige, die erotische Liebe beispiellos feiernde Hohelied Salomos, und zwar auf einer einzigen CD gleich zweimal hintereinander: einmal ganz normal, einmal unterlegt mit sphärischem Elektrogesäusel. Oder: Harry Rowohlt liest „Die schweinischsten Stellen aus dem Alten Testament“, das heißt ebenfalls das halbe Hohelied plus ein paar nur mit äußerst perversionslechzender Fantasie als schweinisch zu stigmatisierende Passagen aus den Büchern Mose.

Beide Bibelprodukte präsentieren ihre Hintergedanken letztlich doch am eindrücklichsten über Design und Ikonografie: Auf Rowohlts „schweinischsten Stellen“ sieht man zum Beispiel einen Ausschnitt aus Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste“, wo einem androgynen, verschmitzt lächelnden Menschen ein rotes und ein blaues Blümchen im Popo steckt, was anspielungsreich und trotzdem entzückend unschuldig ausschaut und übrigens im Bibeltext nirgends vorkommt. Anna Thalbachs Cover hingegen verhält sich wie ein melancholischer Triphop-Sampler; man sieht darauf ein körnig fotografiertes, vielsagend leeres Doppelbett. Obwohl Thalbach und Rowohlt des anschaulichen Vorlesens absolut mächtig sind, lohnt es sich vielleicht nur für Hardcore-Bibelfans, das Zeug zum Hausgebrauch zu kaufen. Alle anderen können damit natürlich aber auch mangels besseren Humors nette Gesinnungs- und Bekenntnisgeschenke machen. EVA BEHRENDT

„Das Hohelied Salomos“. Sprecherin Anna Thalbach, Audiobuch 2001;Harry Rowohlt liest: „Die schweinischsten Stellen aus dem Alten Testament“. Hörbuch, Hamburg 2000