Berliner Internet-Firmen reagieren flexibel auf die Krise des Neuen Marktes

Billiger einkaufen, schneller entlassen

Die Revolution frisst ihre Kinder. Das ist dieser Tage in der Internet-Branche zu beobachten. Viele von den Jungs, die in Garagenräumen Computer aufgestellt haben, mit Freunden Pizzas per Telefon bestellten und wohlhabende Männer überreden konnten, Geld in eine aus Amerika geklaute Idee zu investieren, sind auch nicht besser als andere kapitalistische Unternehmer. Ihre Angestellten entlassen sie nämlich trotzdem. Plötzlich, schnell und ohne schwerfälligen Betriebsrat.

Das mussten gerade 13 Berliner Mitarbeiter des Internet-Dienstleisters dooyoo.com erfahren. dooyoo ist ein Internet-Forum, in dem Verbrauchertipps ausgetauscht werden. Die einen Nutzer stellen Testberichte über Lebensmittel, Kosmetikprodukte, Elektrogeräte oder Freizeitaccessoires ins Netz. Andere Nutzer können diese Berichte dann abrufen oder neue Texte verfassen. Allerdings schreibt dooyoo seit seiner Gründung Verluste. Denn nicht alle Menschen informieren sich tatsächlich auf den Seiten, bevor sie in die Supermärkte gehen. Es nützte auch nichts, dass dooyoo die beliebte Stiftung Warentest als Werbepartner hat.

Einen der dooyoo-Gekündigten traf es besonders schlimm. Seine in Schweden lebende Freundin hatte ihn gerade verlassen, und er hatte gehofft, den Schmerz mit noch mehr Programmierarbeiten zu kompensieren. Vorher kam indes sein Chef mit verlegenem Gesicht und einer schlechten Nachricht an seinem Schreibtisch vorbei. Den Rest des Tages verbrachten der traurige Programmierer und seine zwölf anderen gekündigten Kollegen protestmäßig rauchend im Sofaraum des Unternehmens, in dem auch ein Kickfußball-Gerät steht. Begründet wurden die Entlassungen mit der „ungünstigen Marktlage“: „Die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben war zu groß“, teilte die Firmenleitung mit.

Dooyoo hat in den knapp eineinhalb Jahren seines Bestehens bald 50 Millionen Mark ausgegeben. Büros in Madrid, Rom, London und Paris wurden aufgemacht. Für die gute Laune der Berliner Mitarbeiter war ein Masseur angestellt worden. Und auch die Anschaffung teurer neuer Bürostühle für die Fabriketage im Bezirk Friedrichshain vor wenigen Wochen beurteilen viele der Angestellten seit den Kündigungen längst als überflüssig. Die jüngsten Entwicklungen bei dooyoo haben freilich die gesamte Berliner Internet-Branche verunsichert. Schließlich hatten eben noch viele Fernsehbeiträge die gut aussehenden dooyoo-Chefs als schöne Helden der New Economy präsentiert. Aus Angst hat jetzt auch der Internet-Dienstleister www.datango.com ein Viertel seiner Belegschaft fristlos entlassen.

Viele Webdesigner trifft man inzwischen zum Lebensmittelkauf nur noch in Billigmärkten an. Wie in New York gibt es mittlerweile auch in Berlin einen gut besuchten Stammtisch für die Verlierer der New Economy. Und die Mitarbeiter des Internet-Riesen Pixelpark haben es immerhin geschafft, gegen den anfänglichen Widerstand der Geschäftsführung einen Betriebsrat zu installieren.

Den meisten anderen Beschäftigten der Branche bleibt für die Zukunft nur der Hinweis, ängstlich die betriebsinternen Rundmails zu beobachten. Denn wer hier schnell reagiert, kann bisweilen seinen Kopf retten. Eine Bekannte entdeckte zum Beispiel ihren Namen auf diese Weise zufällig auf der internen Kündigungsliste ihres Internet-Arbeitgebers. Durch geschicktes Mobbing konnte sie ihren Arbeitsplatz behalten. Hätte sie die Mail ignoriert, wäre sie nun ein neuer Fall für das „Karrierenetzwerk“ www.jobpilot.de.

Außerdem empfiehlt es sich für Angestellte der New Economy nach wie vor, regelmäßig bei Anbietern wie etwa www.fuckedcompany.com zu kontrollieren, ob die Arbeitgeberfirma auf dem internationalen Markt nicht längst schon als tot gilt. Spätestens wenn dieser Fall eintritt, sollte man umsatteln. Auf die eigenen Aktienanteile zu hoffen, ist sinnlos.

Immerhin haben inzwischen viele Berliner begriffen, wie viel Stress die Branche birgt. Immer mehr Arbeitnehmer verzichten freiwillig auf Risikoberufe. Der Chef eines Klempnerbetriebes in Berlin-Tempelhof schickte neulich Briefe anlässlich eines 200-jährigen Firmenjubiläums herum. Selbst darin stand zu lesen: „Den Tummelplatz der New Economy überlasse ich als Vater zweier Töchter gerne anderen.“

Andere Menschen zeigen sich indes immer noch aufgeschlossen gegenüber den neuen Technologien. Unlängst berichtete eine Berliner Boulevardzeitung ausführlich über einen Mann, der seinen Computer geheiratet hat.

KIRSTEN KÜPPERS